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Das Mädchen Ariela

Das Mädchen Ariela

Titel: Das Mädchen Ariela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bist nicht verletzt, dir ist nichts geschehen … Oh, wie schön das ist! Wie glücklich ich bin.«
    Sie küßten sich, und es war ihnen in diesen Minuten gleichgültig, wo sie waren, ob sie von Sadouk beobachtet wurden, ob Mahmud gleich wiederkam oder Narriman sie auseinanderriß. Jetzt hatten sie sich, und diese Minuten waren Seligkeiten, für die es sich lohnte zu leiden.
    »Warum sollte ich nicht sehen?« fragte Schumann. Er hielt Arielas Kopf in beiden Händen und küßte ihre Augen, dann ihre Lippen, und sie waren noch kalt vor Angst und wurden jetzt blutwarm unter seinen Küssen. Sie umarmten sich immer wieder, sahen sich in die Augen und wußten, daß Glück etwas ist, was den Menschen über sich selbst erhebt.
    »Sie hat gesagt, man habe dich blind geschossen, und du wüßtest es noch nicht. Ich sollte es dir beibringen. Auf der Fahrt zum Jordan habe ich gebetet: Gott, laß ihn leben! Wenn du ihm auch das Augenlicht genommen hast – er wird sehen durch mich! Nur gib ihn mir wieder. Ich will ihn herumführen. Und sollte er auch die Arme verlieren – ich gebe ihm das Essen, das er braucht. Aber laß ihn mir!« Sie sah ihn strahlend an, und ihre Finger glitten zart über sein Gesicht. »Und nun sehe ich deine Augen … ich spüre deine Hände … es ist wunderbar!«
    Dr. Schumann atmete tief. Über den Kopf Arielas hinweg starrte er in die mondhelle Nacht. Irgendwo, weit weg, bellten Schakale, ein schauriger, heulender Ton, als seien sie unter Schlägen zusammengebrochen.
    Sie setzten sich auf den Diwan neben den Säulen. Ariela strich mit den Fingerspitzen über seine Augen und küßte ihn.
    »Daß du sehen kannst«, stammelte sie. »Wie herrlich ist das!«
    »Was hättest du gesagt, wenn ich wirklich das Augenlicht verloren hätte? Wie hättest du es mir gesagt?«
    Sie setzte sich zurück, nahm seinen Kopf und drückte ihn in ihren Schoß. So lag er nun, sah sie an und schloß die Augen, als sie sich über ihn beugte.
    Er spürte ihre Lippen auf seinem rechten Auge, sie strichen darüber hinweg, ein samtenes Streicheln von überirdischer Süße.
    »Kannst du sehen?« flüsterte sie.
    Er nickte kaum merklich. »Ja, ich sehe …«
    »Und nun das andere Auge.« Wieder die Lippen, das Gefühl, in der Unendlichkeit zu schweben. »Kannst du sehen?«
    »Ja, ich sehe …«
    »Was siehst du?«
    »Dich, Ariela.«
    »Und sonst?«
    »Nur dich.«
    »Und das Gras und die Berge und die Bäume, die Vögel und die Wolken und die Sonne, die Blumen und das Meer …«
    »Es ist alles in einem … es ist Ariela …«
    »Siehst du, wie schnell du wieder sehen kannst …«
    Sie umfaßte ihn, und sie küßten sich, und es war alles ganz anders als damals in der Negev-Wüste in dem kleinen Zelt, auf dem schmalen Feldbett, auf den knirschenden Sandsäcken … es war alles inniger, tiefer, seliger … und die Panzer rollten nicht an ihnen vorbei, sie hörten nicht die Geschwader der Jagdbomber am Nachthimmel, das Rattern der Motoren störte sie nicht, die Uhr lief ihnen nicht davon, und kein Morgen dämmerte, an dem ein Krieg beginnen sollte.
    »Sie haben sehen gelernt, Doktor!« sagte Narriman. Sie stand in der Tür, und weder Ariela noch Schumann wußten, wie lange sie schon dort gestanden hatte. Es war ihnen auch gleichgültig. »Ich nehme an, Sie sehen jetzt klarer als bisher.«
    Schumann erhob sich. Vor zwei Wochen noch wäre ihm diese Situation peinlich gewesen, jetzt lächelte er Narriman an. Wie schnell gewöhnt man sich daran, ohne Scham zu leben, dachte er. An eine Erzählung seines Vaters erinnerte er sich. Da waren 1945 Millionen Menschen aus den Ostgebieten geflüchtet, kilometerlange Trecks, Frauen, Kinder, Greise, versprengte Soldaten, aufgelesene Verwundete. Im Freien, im Straßengraben, in Scheunen übernachteten sie, und später in Baracken, mit dünnen Holzwänden, zwei, drei Familien wie Mastlämmer eingepfercht in ihren Stall, und hier, in den Scheunen, auf den Bauernwagen, in den Baracken, Wand an Wand ging das Leben weiter, wurde geliebt, wurde gezeugt und geboren.
    War es jetzt anders? Gehörte er nicht jetzt auch zu denen, die liefen und liefen und nicht wußten, wo alles enden würde?
    »Ich stelle Forderungen!« sagte Dr. Schumann laut.
    Über Narrimans Gesicht glitt heller Triumph. »Sie arbeiten also für uns?«
    »Nur unter den Bedingungen, die ich stelle.«
    »Ich höre.«
    »Ich bin kein Gefangener.«
    »Angenommen.«
    »Ich kann mich frei bewegen.«
    »Im Rahmen Ihrer Aufgaben.«
    »Ariela kommt mit

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