Das Mädchen Ariela
Ariela Golan, dachte er. Wäre sie irgendeine, so spräche man nicht darüber. Aber sie ist so etwas wie das Vermächtnis eines Nationalheiligen. Wir sind es Arnos Golan schuldig. »Kommen Sie!« sagte General Yona und sprang auf. »Wir werden das sofort untersuchen. Woher wissen Sie das?«
»Ich war in der Wohnung Golans.« Rishon reichte Yona den Zettel Arielas. Der General las ihn und sah Rishon erstaunt an.
»Sie ist demnach freiwillig gegangen …«
»Jemand muß sie getäuscht haben.« Rishon lehnte sich an die Wand. In seinem ganzen Leben war er noch nicht so hilflos gewesen. »Doktor Schumann versteckt sich doch in der Sinai-Wüste …«
»Das ist ja ein dicker Hund!« General Yona stülpte seine Mütze auf. »Kommen Sie. Rishon … wir werden das alles mit der Aufklärungsstaffel besprechen.«
Durch Vermittlung der deutschen Botschaft gelang es endlich, die Reisegruppe Wolfgang Hopps freizubekommen. Sie durfte nach Tel Aviv reisen und dort das Flugzeug besteigen, das sie zurück nach Deutschland bringen sollte.
»So viel ist einem noch nie für siebenhundertfünfzig Mark geboten worden«, sagte Theobald Kurzleb, als sie nun wirklich zum letztenmal ihre Koffer gepackt hatten und in der Hotelhalle auf den Reisebus warteten.
»Die heiligen Stätten, ein Blitzkrieg, zwei Tage Gefängnis, eine tote Schwester … ich glaube, mehr kann man nicht verlangen.«
Johann Drummser fühlte sich vereinsamt. Sein neuer Freund Willi Müller aus Köln war nicht mehr bei ihnen. Er war der einzige, den man zurückbehalten hatte und den auch die deutsche Botschaft nicht freibekam. Die Israelis beharrten auf dem Standpunkt, daß einer, der mit Panzerkanonen schießt, auch für die Schäden aufzukommen hat, die er damit anrichtet. Müller hatte ein Haus zerstört – also mußte er ein neues Haus bauen. Auge um Auge, Zahn um Zahn …
»Wie soll isch dat machen?« schrie Müller XII, als der deutsche Botschaftsrat ihm diese Nachricht in die Zelle brachte. »Isch bin ein kleiner Anjestellter! Isch han achthundert Mark Jehalt! Woher soll isch dat Haus bezahlen?«
»Dann arbeitet er es ab«, sagte ein Hauptmann, der Major Rishon vertrat. »Wir werden Herrn Müller einem ordnungsgemäßen Gericht übergeben und nach dem Gesetz verurteilen. Oder ist bei Ihnen in Deutschland keiner ersatzpflichtig, der ein Haus zusammenschießt?«
Der deutsche Botschaftsrat wußte darauf keine andere Antwort als: »Natürlich!« Damit war der Fall zunächst politisch erledigt. Von der Botschaft aus gab es keine Möglichkeiten mehr, Müller zu helfen.
»Warum klettert er auch in einen Panzer?« sagte man. Der Bericht, der nach Bonn ging, blieb auf irgendeinem Schreibtisch liegen.
Es gab wichtigere Dinge. Ein Negerfürst hatte sich zum Staatsbesuch angemeldet, wollte die Berliner Mauer sehen, seine Abscheu über dieses Bollwerk der Unfreiheit abgeben und dafür einige Millionen kassieren. So etwas geht vor. Das macht Schlagzeilen. Ein Müller XII aus Köln konnte warten …
Es war auch das Reisebüro und nicht ein Bonner Beamter, das Frau Erna Müller benachrichtigte, ihr Mann komme vorläufig nicht nach Köln zurück, weil er in Jerusalem eine Tätigkeit zum Aufbau eines Hauses angenommen habe.
Erna Müller weinte einen Tag lang und fragte dann einen Rechtsanwalt. Dieser rief das Außenministerium in Bonn an und erfuhr, daß niemand für den Fall Müller zuständig war.
»Es ist ein reiner zivilrechtlicher Fall der Israelis«, wurde der Anwalt belehrt. »Wir sehen keine Möglichkeit, hier politisch einzugreifen.«
In Jerusalem saß unterdessen Willi Müller, löffelte eine Suppe, aß Matzen und überlegte sich, was wohl dabei herauskäme, wenn ein Lagerverwalter plötzlich zum Bauarbeiter wird. Man hatte ihm gesagt, daß der Neubau des Hauses ungefähr 7.480 israelische Pfund kosten würden, das waren runde zehntausend Mark.
»So eine Bruchbude aus Lehm zehntausend Mark?« schrie Müller. »Ich will den Botschaftsrat sprechen! Man will mich über Ohr hauen! Dat is Ausnutzung einer Notlage!«
So weit waren die Dinge gediehen, als die Reisegesellschaft den Sonderbus besteigen konnte und Abschied nahm von Jerusalem. Die Schwestern Angela und Edwiga waren noch einmal zu dem kleinen Grab gepilgert, in dem nun Schwester Brunona für immer ruhte, in heiliger Erde, in der Nähe Christi, eine Gnade, die nur wenigen zuteil wird. Sie beteten und nahmen Abschied, denn sie wußten, daß sie nie wieder nach Jerusalem kommen würden.
Johann Drummser
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