Das Mädchen Ariela
schnell sich der Tod herumsprach.
Narriman hatte ihr Versprechen gehalten: Ariela wohnte im glei chen Haus wie Dr. Schumann. Und doch trennte sie eine mit orien talischer Maurerkunst aufgerichtete durchbrochene Wand voneinander. Die beiden großen, prunkvollen Zimmer lagen nebeneinan der, und man konnte durch das Filigran von goldgestrichenen Figu ren, aus denen die Zwischenmauer bestand, in das andere Zimmer sehen, man konnte sich hören, miteinander sprechen, man sah die gegenüberliegende Welt wie in Tupfen, Bögen und Kreise aufgelöst, und doch war es nur ein Gefängnis, in dem die Gitter aus Marmor und Mosaiken bestanden, aus goldlackierten Decken, glasierten Zie gelböden und Türen, die innen keine Klinken hatten und nur von außen geöffnet werden konnten.
»Was soll das?« hatte Schumann gesagt, als er das ihm bisher unbekannte Zimmer betrat. Erst beim zweiten Blick sah er, daß es sein altes, riesiges Zimmer war, das man in aller Eile umgebaut und mit Hilfe der durchbrochenen Zwischenwand geteilt hatte.
»Ariela ist bei Ihnen.« Narriman lächelte bitter. »Dort drüben wird sie gleich hereingeführt. Sie ist Ihnen ganz nah … aber nicht zu nah. Oder dachten Sie, ich lege Ihnen Ariela in die Arme? Ich gönne Ihnen das Vergnügen der Leidenschaft nur bis zu einer gewissen Grenze, Doktor. Sie dürfen bewundern, schmachten, reden, anfassen, tasten … aber Ihr Weg zum Glück führt über mich.«
»Sie werden mich nie auf diesem Weg sehen, Narriman!«
»Sollen wir uns schon deswegen streiten?« Sie lachte und fuhr sich mit beiden Händen durch die schwarzen Haare. Ihre Sinnlichkeit war erdrückend. »Morgen stattet Ihnen mein Mann einen Besuch ab.«
»Das freut mich.«
»Er ist neugierig, den Mann kennenzulernen, von dem ich ihm erzählt habe, er könnte der einzige sein, der mich bändigt.«
»Das haben Sie gesagt, Narriman?«
»Ich spreche mit meinem Mann immer über Dinge, die mich beschäftigen.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Er hat sanft gelächelt. Er hat eine Art zu lächeln, die ihn zum Märtyrer macht. Man möchte ihn dann streicheln und trösten.«
Im Nebenzimmer klappte die Tür. Narriman trat an die durchbrochene Wand und winkte Dr. Schumann zu.
»Ihr jüdisches Schätzchen, Doktor. Kommen Sie. Sie hat sich gebadet und umgezogen. Kleider von mir. Morgen werde ich in der Stadt ein paar Fähnchen für sie einkaufen, Schminkzeug, Make-up, was eine Frau so braucht. Bin ich nicht ausgesprochen lieb zu Ihnen?«
Sie klopfte gegen die Mauer und winkte ins andere Zimmer. »Sie sehen blendend aus, Ariela. Mein Kleid steht Ihnen gut.«
Dr. Schumann hörte keine Antwort. Aber aus dem Nebenzimmer klang es, als oh jemand Stoff zerreißt. Ein knirschender, schleißender Laut. Narriman wandte sich mit einem bösen Lächeln ab.
»Sie hat sich mein Kleid vom Leib gerissen. Nun ist sie nackt. Ich habe es gar nicht anders erwartet, ich hätte es genauso gemacht. Wann frühstücken wir?«
»Ich habe keinen Hunger«, sagte Schumann. Er stand an der Wand und starrte ins andere Zimmer. Die nackte, schmale Silhouette Arielas hob sich gegen die Sonne ab, die durch den – jetzt vergitterten – Balkon hereinflutete. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht, und er sah, daß sie mit geballten Fäusten dastand.
»Wir frühstücken in einer Stunde.« Narriman trat neben Schumann. »Ein herrlicher Körper, nicht wahr? Jung, fest, glatt, warm und geschmeidig. Sie hätten ihn gern in den Armen, nicht wahr?«
»Gehen Sie«, sagte Schumann heiser. »Bitte, gehen Sie. Auch ein Mensch wie ich kennt eine Grenze.«
Als er dann allein war, stand er an der Wand, und Ariela stand auf der anderen Seite, und sie hielten sich die Hände durch einen der Durchbrüche und streichelten sich und versuchten ihre Lippen aufeinanderzulegen, aber die Wand war zu dick und ihre Lippen konnten sich nicht berühren.
Über Arielas Nacktheit lag die Sonne wie ein Goldmantel. Sie schämte sich nicht. Es war selbstverständlich, daß er sie so sah, so wie es damals selbstverständlich gewesen war, daß er sie im Zelt in der Negev-Wüste abrieb, als sie sich in seiner engen Gummibadewanne gewaschen hatte, nach einer Nacht, die Ariela völlig veränderte. Die Liebe war in Israel von jeher eine Waffe der Frau gewesen – nicht der Mann eroberte sich das Glück, sondern die Frau kam und sagte: »Du gefällst mir!«, und sie sagte es ganz unbefangen, denn was im Herzen ist und was im Blut kocht, das ist von Gott. In Ariela aber waren die
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