Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff
in der Nähe. Er heißt Nicholas Legat und war früher der Partner von Anna Pawlowa.«
»Anna P-Pawlowa!« Anna machte große Augen. »Die größte B-Ballerina aller Zeiten!«
»Ja. Ich würde vorschlagen, dass wir ihn in den nächsten Tagen in seinem Studio aufsuchen und ihn fragen, ob er dich nimmt. Was hältst du davon?«
»K-Kaum zu glauben, dass ich noch vor zwei W-Wochen in dieser schrecklichen Schule war und d-dachte, ich könnte nie wieder tanzen.« Sie umarmte Mary. »Aber du hast mich g-gerettet, wie ein Schutzengel.«
»Liebes, du weißt doch, dass ich immer für dich da sein werde.«
»Als du mir nicht in die Schule g-geschrieben hast, hab ich geglaubt …«, Anna biss sich auf die Lippe, »… du hättest mich im Stich g-gelassen.«
»Alle waren der Meinung, dass es das Beste ist, wenn ich dir Zeit zum Eingewöhnen lasse.«
Anna sah sie erstaunt an. »Dann hat T-Tante dir gesagt, du d-darfst mir nicht schreiben?«
»Ja, in deinem Interesse.«
»Mary, du n-nimmst sie in Schutz, aber wir wissen beide, dass T-Tante mich hasst.« Anna küsste sie auf die Wange. »Egal, wer du w-wirklich bist: Ich könnte mir keine bessere M-Mutter vorstellen.«
Mary, deren Augen feucht wurden, fragte sich, ob Anna das auch gesagt hätte, wenn ihr die Wahrheit bekannt gewesen wäre. »Lassen wir das Thema. Da du die nächsten paar Jahre bei mir sein wirst, wäre es vernünftig, wenn du meinen Familiennamen annimmst.«
»Gern, ich hab sowieso k-keinen eigenen.«
»Du weißt wahrscheinlich, dass die Nonnen mich ›Benedict‹ getauft haben, was bedeutet, dass ich auch keinen richtigen Familiennamen habe. Also würde ich vorschlagen, wir fangen beide ganz von vorn an und denken uns einen aus.«
»K-Können wir das denn?«
»Warum nicht?«
»Wie aufregend! D-Darf ich ihn aussuchen?«
»Natürlich, solange du dich nicht für den unaussprechlichen einer russischen Ballerina entscheidest.«
Wie immer beim Nachdenken kaute Anna an ihrem Zeigefinger herum. »Ich weiß einen!«
»Ja?«
»Mein L-Lieblingsballett ist Schwanensee , und ich heiße Anna wie Anna P-Pawlowa. Mir würde d-der Name ›Swan‹ gefallen.«
»Swan …«, wiederholte Mary. »Warum nicht?«
Am folgenden Tag betrat Anna Swan das Studio von Nicholas Legat, begleitet von ihrer Mutter Mary Swan. Anna wurde sofort in seine Ballettklasse aufgenommen, in der sie dreimal wöchentlich Unterricht erhalten würde.
Im folgenden Monat zogen die beiden in Sheilas alte Wohnung, und Mary machte sich daran, ihr neues Zuhause zu malern und freundlicher zu gestalten. Mit ihrer Nähmaschine fertigte sie hübsche Vorhänge mit Blumenmuster für Annas Zimmer, und sich selbst gönnte sie blaue Chintzbezüge für den kleinen Wohnraum, in dem sie nähen wollte. Als sie die Vorhänge aufgehängt hatte, trat sie einen Schritt zurück, um ihr Werk zu bewundern. Dabei musste Mary an das Haus in Dunworley denken, das ihr einmal hätte gehören sollen.
»Wunderschön«, rief Anna aus, als Mary ihr stolz das fertige Zimmer präsentierte. »Können wir Nancy und Mrs. C-Carruthers zum Tee einladen? Ich würde ihnen g-gern unser neues Zuhause zeigen.«
»Tut mir leid, Anna, sie sind beide aus Cadogan House ausgezogen. Ich habe keine Ahnung, wo sie jetzt wohnen.«
»Ist es nicht schrecklich unhöflich von ihnen, d-dass sie uns ihre neue Adresse nicht g-gesagt haben? Schließlich sind wir mit ihnen b-befreundet.«
»Sie melden sich sicher, wenn sie wissen, wo sie unterkommen, Liebes«, erklärte Mary mit schlechtem Gewissen.
Bald schon stellte sich eine Tagesroutine ein. Mary sorgte dafür, dass Anna sich zum Lernen an den kleinen Schreibtisch in der Ecke des Wohnzimmers setzte. In der örtlichen Bücherei lieh sie Geschichts- und Geografiebücher aus und ermunterte Anna, so viel wie möglich zu lesen. Ihr war klar, dass das kaum die Art von Unterricht war, den ein Mädchen wie Anna sonst erhielt, aber mehr konnte sie ihr nicht bieten.
An drei Nachmittagen in der Woche begleitete Mary Anna zur Ballettstunde auf die andere Seite von Colet Gardens. Jedes Mal, wenn Mary das Gebäude betrat oder verließ, blickte sie nervös um sich. – Eine Gewohnheit, die sie den Rest ihres Lebens nicht mehr ablegen sollte. Das war der Preis für ihre Entscheidung.
Anfangs hatte Mary mit dem Gedanken gespielt, Anna ins Ausland zu bringen. Doch Anna besaß keine Geburtsurkunde, keinen Pass und keine offiziellen Dokumente, die ihre Herkunft geklärt hätten, also hatten sie keine andere Wahl,
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