Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
und dachte, er gerät wie so oft in eine harmlose Schlägerei …«
»Sag mal, woher kennst du denn Diether?«, fiel ihm Lentz verblüfft ins Wort.
Aus einem Sommer voller Zauber und voller Geschichten. Aus den Liebeserklärungen eines unvergleichlichen Mädchens, das seinen drei Brüdern die Mutter ersetzt hat und sie gegen alle Drachen und Dämonen der Welt verteidigt hätte. »Ich kenne ihn gar nicht«, erwiderte er. »Ich habe nur ein paar Dinge gehört und ziehe daraus Schlüsse. Jetzt ist keine Zeit, um herumzureden. In städtischen Kerkern werden Gefangene nicht mit Samthandschuhen angefasst.«
»Ich will nicht, dass Diether misshandelt wird.«
»Ich auch nicht«, bekannte Thomas. »Deshalb gehe ich jetzt und versuche, dem Kerkermeister klarzumachen, dass dein Bruder unter dem Schutz des Grauen Klosters steht. Außerdem muss ich mit ihm sprechen und Klarheit über die Ereignisse gewinnen. In der Zwischenzeit gehst du zu deiner Schwester, und ich beschwöre dich – stell keine Fragen.«
»Zu meiner Schwester?« Lentz schien jetzt vollends verstört. »Ja, aber was soll denn Magda …?«
»Keine Fragen«, warnte ihn Thomas. »Deine Schwester hat ein Stück Papier bei sich, das ich ihr einmal gegeben habe. Sag ihr, sie soll es jetzt benutzen, es ist der letzte Ausweg, und sie soll alles tun, wie wir es damals besprochen haben.«
»Und warum gehst du nicht selbst und sagst es ihr?«
»Keine Fragen«, verwies ihn Thomas noch einmal, drehte sich um und ging.
28
Acht Wachleute hatten Diether von der Marienkirche bis vor die Stadtmauer geschafft, von der der Kerkerturm aufragte. Zwei liefen mit Lanzen voraus, zwei liefen mit Lanzen hinterdrein, zwei schleiften ihn an den Armen und zwei traten ihm in den Rücken, wann immer er sich nicht schnell genug bewegte. Die Schmerzen in seinem Kopf tobten inzwischen so wild, dass er die Augen nicht offen halten konnte. Ihm war zum Speien übel, und er hätte alles, was er besaß, für einen Becher Wasser gegeben.
Nur besaß er nichts mehr. Nicht einmal seine Freiheit.
Der Kerkerturm neben dem Haus des Blutvogts hatte zu ebener Erde keine Tür. Um das Gebäude wand sich eine enge Stiege, die Diether hinaufgestoßen wurde. Er war nie zimperlich gewesen, doch die Beleidigungen, mit denen die Männer ihn bedachten, trafen ihn tief im Innersten wie Peitschenhiebe.
»Los, vorwärts, Hurensohn!«
»Wird’s bald, du Stück Scheiße, oder muss ich dir Beine machen?«
»Da rein mit dir, Abschaum, damit mir von deinem Anblick nicht das Kotzen kommt.«
Dazu schlugen sie ihn mit ihren Stöcken in die Kniekehlen, was einen brennenden Schmerz durch seinen ganzen Körper sandte. Diether begriff in Windeseile: Wer hier landete, hatte kein Recht mehr, sondern hatte aufgehört, ein Mensch zu sein.
Der runde Raum, in den sie ihn stießen, befand sich etwa vier Mannslängen über dem Boden und besaß kein Fenster. Das Licht einer blakenden Wandfackel ließ erkennen, wozu die Kammer genutzt wurde. Diether musste würgen und erhielt dafür einen Hieb in den Nacken. In die Wände waren Ketten mit Fußschellen eingelassen, um Gefangene zu fesseln, und daneben lehnte das Werkzeug für das peinliche Verhör: Zangen, die Fleisch zwickten, Schrauben, die Gelenke zerquetschten, Becken, in denen Kohle erhitzt wurde, um Fußsohlen in glühende Asche zu verwandeln. Als er taumelte, fing einer der Männer ihn am Arm auf und gab ihm einen verächtlichen Streich über die Wange. »Die Empfindsamkeit gewöhnst du dir besser ab, Hundsfott. Das, was dir bevorsteht, ist schlimmer als das bisschen Zwicken.«
Aus dem Dunkel, das der Schein der Fackel nicht erreichte, schlurfte der Kerkerwächter in sein Blickfeld, kniete in der Mitte des Raumes nieder und öffnete eine Klappe. »Kriegt ihr den allein da runter?«
»Ich hab mir an dem Abschaum schon die Pfoten dreckig gemacht«, erwiderte der Anführer der Wachen. »Aber dafür, den ins Loch zu schmeißen, wirst du bezahlt, nicht ich.«
»Was ist an dem da denn schlimmer als an den anderen, mit denen du dir deinen Spaß machst?«
»Hast du nichts gehört?«, fragte der andere schnaufend vor Entrüstung. »Der da ist der Mörder von Nikolaus Cyriacus, dem Propst von Bernau!«
Der Mörder. Das war er. Bis zu diesem Augenblick hatten weder die Erkenntnis noch deren Bedeutung Diether erreicht.
»Dem haut keiner hübsch zart die Rübe ab, und den knüpft auch keiner auf. Die Sau stirbt auf dem Rad.«
An sämtlichen Gliedern schlotternd, hatte Diether
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