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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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nicht gehen und versuchen, für Diether Harzer Hilfe zu bekommen.«
    Jecklin Schuhmacher nickte und wischte sich die zerschundenen Wangen. »Ich hab doch den Petter und die anderen gewarnt«, jammerte er. »Geht es langsam an, hab ich gesagt, versucht nicht, das Gewicht Gottes mit irdischen Kräften zu bewegen, aber auf den dummen Jecklin hat ja niemand gehört.«
    Thomas hielt inne und überlegte. »Das ist nicht schlecht gesprochen«, sagte er dann. »Nur ist es nicht Gott, der bewegt werden muss, sondern die Kirche, damit sie uns nicht länger die Sicht auf Gott versperrt. Aber derlei Fragen brauchen wir zu unserem Glück nicht heute Nacht zu lösen. Geht nach Hause. Geht schlafen. Morgen früh habt ihr genug zu tun.«
    »Und was wird mit dem Papst?«, fragte das Rußgesicht kläglich. »Mit dem Kirchenbann?«
    »Das weiß ich so wenig wie ihr«, erwiderte Thomas. »Aber es reicht aus, dass wir Berliner heute einen Mann auf dem Gewissen haben. Einen zweiten braucht es wahrhaftig nicht.«
    Ohne viel Federlesens drängte sich Thomas in die Gruppe, die Pater Antonius und Lentz umringte. »Ich muss Euch sprechen«, sagte er knapp zu beiden. »Die Sache duldet keinen Aufschub.«
    Hätte Pater Antonius ihn zurechtgewiesen, hätte er nicht gewusst, was er getan hätte. Sein Herz raste ihm bis in die Kehle, und er brauchte alle Kraft, um Ruhe zu bewahren. Der Novizenmeister aber befahl der Menge zurückzutreten und wandte sich ihm zu. »Schlechte Nachrichten, Bruder?«
    Thomas nickte. »Die Wache hat jemanden verhaftet.«
    »Ja, ich habe davon gehört«, sagte Antonius. »Das Kloster wird morgen jemanden schicken und nachfragen, wie es in der Sache dieses Mannes steht.«
    »Nicht morgen«, erwiderte Thomas. »Heute Nacht. Schickt mich.«
    »Ihr habt Euch gerade auf bemerkenswerte Weise bewährt«, entgegnete der Novizenmeister scharf. »Aber das gibt Euch nicht das Recht, mir mit solchem Hochmut Befehle zu erteilen. Vergesst Euren Platz nicht! Ich verlange, dass Ihr Euch erklärt.«
    Thomas zögerte keinen Augenblick, sondern ging auf dem Pflasterstein in die Knie. »Ich bitte Euch um Vergebung«, sagte er, ohne zu stocken. »Und ich bitte Euch, meinen Wunsch zu gewähren und mich in den Kerkerturm zu schicken. Der verhaftete Mann ist ein Freund. Ich habe Angst um ihn.« Als Lügner war er ein Versager, aber dies hier fühlte sich nicht wie eine Lüge an.
    Pater Antonius besaß Größe. Er sah davon ab, ihn zu strafen, indem er ihn zappeln ließ. »Versucht es«, sagte er. »Sagt, Ihr kommt von Pater Martinus, der gleich in der Frühe ein entsprechendes Schreiben ausstellen wird. Wenn man Euch allerdings nicht vorlässt, kann ich Euch nicht helfen. Dann müsst Ihr zurückkommen und bis morgen warten.«
    Zum ersten Mal in seinem Leben war Thomas in Versuchung, einem anderen Mann die Hand zu küssen. Stattdessen dankte er dem Pater, stand auf und wartete, bis dieser sich wieder der Volksmenge zuwandte. Dann trat er Lentz, der dem anderen folgen wollte, in den Weg. »Du musst zu deiner Schwester«, sagte er, ohne sich um die förmliche Anrede, die dem anderen gebührte, zu scheren. »Sofort.«
    »Ich habe meiner Schwester geschrieben«, erwiderte Lentz verwirrt. »Aber da von ihr keine Antwort kam, hielt ich es für besser, sie in Frieden zu lassen.«
    »Darum geht es jetzt nicht«, herrschte Thomas ihn an. »Der Mann, der im Kerkerturm sitzt und vom Tod auf dem Rad bedroht ist, ist euer Bruder Diether!«
    Lentz zuckte zusammen. Dann fasste er sich mit der Hand an die Stirn und stöhnte wie unter Schmerzen. »Diether«, murmelte er stimmlos, und noch einmal: »Diether. O süßer Jesus, mein Erlöser, gib Magda, gib uns allen die Kraft, das auszuhalten.« Er bekreuzigte sich. Dann blickte er zu Thomas auf. »Trotz allem, was mein Bruder getan hat, ich will nicht, dass er gerädert wird. Wohin kann man sich wenden, was kann man veranlassen, um eine Begnadigung zu erreichen?«
    »Trotz allem, was er getan hat?«, platzte Thomas heraus. »Hat er, solange keine Tat bewiesen ist, nicht das Recht, für unschuldig zu gelten? Vor allem vor der eigenen Familie?« Der Schmerz der Erinnerung drohte ihn zu überwältigen. Der Mann, der seine Familie gewesen war, hatte ihn verurteilt, ohne auch nur eine Frage zu stellen. »So, wie es derzeit aussieht, hat er nicht mehr getan, als zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein«, warf er Lentz ins Gesicht. »Vermutlich hatte er zu viel getrunken, wollte sich vor irgendwelchen Freunden großtun

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