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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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aber auch den Großvater, den alten Giftzwerg, der Galle spuckte und doch kaum je zubiss. Er hatte Endres geliebt, und er liebte seine Brüder, auch wenn die Eifersucht ihn ständig zwackte. Auf einmal wünschte er sich nichts, weder Wasser noch Licht noch Hoffnung, so sehr wie die Gelegenheit, es ihnen zu sagen: Ich habe ein scheußliches Fiasko aus unserem Leben gemacht, aber ich habe es geliebt. Ich liebte es, mit euch zu lachen und dumme Witze zu reißen, ich liebte es, nach Hause zu kommen und den Finger in den Topf mit dicken Erbsen zu stecken.
    Ich hätte euch gern Gretlin gebracht. Nicht der Familie des vornehmen Handelsherrn, sondern euch. Ich würde so gern mit euch noch einmal von vorn beginnen. Es wäre nicht alles Glanz und Gloria. Aus Diether, dem Faulpelz, würde nicht über Nacht eine Arbeitsbiene werden, aber es wäre unser Leben, und wir würden uns schon zusammenraufen. Unser Leben – warum begreife ich das erst jetzt? – war viel kostbarer, zerbrechlicher und schützenswerter als alles, was man sich erdenken und erträumen kann.
    Das Geräusch ließ ihn kaum noch aufschrecken, obgleich es lauter war als die anderen. Einen Atemzug später aber wurde die steinerne Platte beiseitegeschoben, und in die Schwärze drang Licht. »Diether Harzer?«
    Die Stimme war wie dunkler Samt, und er hörte sie nicht zum ersten Mal.
    »Rückt so weit wie möglich zur Wand. Ich springe zu Euch hinunter.«
    Der Mann war ein Riese. Als er punktgenau zwischen Diethers Beinen landete, schien die Zelle zu beben. Wie er es schaffte, dabei sein Talglicht in der Hand zu balancieren und unter dem anderen Arm ein Paket zu tragen, war Diether ein Rätsel. Mühsam blinzelte er, um seine Augen an das Licht zu gewöhnen. In der winzigen, widerlichen Zelle saß ihm der große Mann beinahe auf dem Schoß. Er löste den Knoten eines Lederbandes an seinem Hals und reichte Diether wortlos eine Feldflasche. Als Diether das Gefäß in den Händen drehte, ohne etwas damit anzufangen, nahm er es noch einmal an sich und entkorkte es. Dann gab er sie Diether zurück.
    Er setzte die Flasche an und ließ das Wasser in seine Kehle laufen. Es war die Erlösung. Einen Augenblick lang war es die vollkommene Seligkeit. Vor Gier verschluckte er sich, hustete und trank dann weiter, bis die Flasche leer war. Als er zu Atem kam, hatte der andere das Talglicht auf den Boden gestellt und das Paket ausgewickelt. Es war eine Decke, die er Diether um die Schultern legte. Eine weitere Erlösung. Wärme und der Geruch nach grober, sauberer Wolle. Seine Glieder spürten wieder etwas anderes als Schmerz.
    »Wer seid Ihr?«, fragte er ungläubig, doch im selben Moment erkannte er den Mann.
    »Thomas«, sagte der. »Auch wenn das wenig zur Sache tut.« Er gab ihm einen kleinen, runden Laib Brot, der in den Falten der Decke gesteckt hatte. Diether konnte ihn nicht sofort essen, sondern musste die Nase daran halten. Wenn so das Elysium duftete, frisch und holzig und ein wenig nach Kümmel, dann lohnte es sich, ohne Sünde zu bleiben. Vorsichtig, wie um das Brot nicht zu verletzen, schlug er die Zähne in die krachende Kruste. Es kam ihm mindestens so köstlich vor wie die Nüsse, die der Großvater ihm heimlich zugesteckt hatte, wenn er verheult aus der Kammer seines Vaters kam.
    Der Mann, der Thomas hieß, wartete, bis Diether seine Mahlzeit beendet hatte. »Ihr wisst, was man Euch vorwirft und was Euch dafür droht?«, fragte er dann.
    Mit einem Schlag war die Erlösung vorüber. Diether konnte nur nicken.
    »Ihr seid nicht allein«, sagte der Mann. »Es gibt Menschen, die Euch helfen wollen. Eure Schwester Magda. Euer Bruder Lentz. Aber ich muss von Euch so genau wie möglich erfahren, was auf dem Neuen Markt geschehen ist.«
    Sie wollten ihm helfen. Magda, Lentz und dieser komische Fremde, der wohl immer auftauchte, wenn einer von ihnen in der Tinte hockte. Sie hatten ihn nicht aufgegeben, trotz allem, was er ihnen angetan hatte. Ob er sie bitten konnte, sich um Gretlin zu kümmern, Caspar die Miete zu zahlen oder die Mädchen zu sich zu nehmen?
    »Habt Ihr mich gehört? Könnt Ihr mir schildern, was heute beim Besuch des Propstes geschehen ist?«
    Dieter zuckte zusammen. »Ich weiß es nicht«, brach es aus ihm heraus. »Ich war nicht richtig bei mir, ich habe …« Er stockte, weil er die Worte wiedererkannte. Hatte er auf ähnliche Weise nicht Magda nach Endres’ Tod abgespeist? Damit war es vorbei. Er würde nie wieder versuchen, sich durch Täuschen und

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