Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
der sich zwischen Wand und Geländer nach oben quetschte, war niemand anders als Bechtolt. Sein Hals schien zu schwellen, als er Diether erkannte. »Welch Überraschung«, bemerkte er schnaufend. »Habe ich es nicht gesagt? Man lebt sich ein. Gestern noch stand das Wasser bis zur Gurgel und heute trägt man bereits sein Geld ins Badehaus.« Er lachte wie über einen trefflichen Witz. Dann tippte er sich zum Gruß an die Stirn und trampelte samt Ursel an Diether vorbei.
Am Fuß der Stiege entdeckte er Hans, der verschüttetes Wasser aufwischte. Der Badeknecht, der sich so verblüffend geschickt als Barbier machte, blickte auf. »Und? Zufrieden?«
»Das kannst du laut sagen.«
»Freut mich zu hören«, sagte Hans. »Siehst auch bei Weitem appetitlicher aus als in der Frühe. Einen Platz kann ich dir übrigens jederzeit freihalten – nur muss ich das nächste Mal leider den vollen Preis berechnen. Immer ist ja selbst der Bader nicht auf Freiersfüßen.«
»Ja, ja, schon gut.« Diether winkte ab. Er hatte keine Lust, sich schon wieder wie der abgerissene Schlucker zu fühlen, der er war. »Ich habe dir doch gesagt, so abgebrannt, wie ich mich zum Spaß manchmal gebe, bin ich nicht. Im Gegenteil. In zwei Wochen nehme ich dasselbe wieder – am Donnerstag, nach dem Markt am Mühlendamm. Vorausgesetzt, ich bekomme jetzt das, was noch fehlt.«
»Gütiger Herr des Himmels, was sollte denn noch fehlen? Hast du keine Haarwäsche bekommen, kein Rosenwasser, keinen ordentlichen Dampf?«
Diether sandte ihm ein Zwinkern. »Du hast mir vorhin doch etwas von einer Ursel samt Schwester versprochen. Die Ursel habe ich, denke ich, schon zu Gesicht bekommen …«
»Hüte dich!« Hans hob den Putzlumpen auf, als wollte er ihn nach Diether schleudern. »Ich würd mein Salz mit dir teilen, wenn ich welches hätte, aber von meiner Ursel lässt du die Finger. Die Ursel ist keins von den liederlichen Weibern, sondern meine Braut.«
»Machst du Witze?«
»Und weshalb sollte ich? Weil ich arm bin und mir keine Hochzeit leisten kann? Das heißt nicht, dass einem Burschen nicht an einem Mädchen gelegen sein kann.«
Erstaunt erkannte Diether, dass es dem anderen ernst war. Sobald er mit der Arbeit fertig wäre, erklärte dieser, würde er zur Ursel laufen, um ihr ein Nachtmahl zu kaufen. »Eine wollene Decke hab ich ihr auch beschafft«, sagte er in zärtlichen Gedanken versunken. »Schön warm. Sie friert so in der Nacht.«
»Ich helfe dir«, bot Diether an. »Dann bist du schneller fertig und kannst zu deiner Liebsten.«
»Das willst du wahrhaftig tun? Ist mir etwa mitten am Krögel der Bursche mit dem größten Herzen von ganz Brandenburg über den Weg gelaufen?«
Die Frage vermochte Diether nicht zu beantworten. Er war kein kalter Mann, war es nie gewesen. Vielleicht hatte er sogar sein Leben verpfuscht, weil er nicht kalt genug war. Etwas an diesem Kerl mit seiner albernen Wolldecke rührte ihn. Außerdem hatte er sonst nichts zu tun, und vor dem Weg nach Hause graute ihm. Noch etwas anderes fiel ihm ein: Seit Endres’ Tod hatte er keinen Freund mehr gehabt. Und Endres war nie ein Freund gewesen, für den er etwas hatte tun können. Es war immer umgekehrt gewesen, sodass er sich stets in der Schuld des anderen gefühlt hatte.
Zu zweit wischten sie Stube und Stiege, leerten Zuber und Kannen auf die Straße und reinigten die Feuerstellen. Als bis auf Bechtolt alle Gäste gegangen waren, hatten sie ihre Arbeit beendet. »Der bleibt oben, im geheimen Stübchen, bis der Bader abschließt«, ließ Hans ihn wissen und zwinkerte ihm vielsagend zu. »Ich bin jetzt frei und kann gehen. Aber sag, warum kommst du zur Ursel und zur Gretlin nicht mit? Gretlin mag sich fürchten, aber Ursel wird sich freuen, mal einen Freund von mir kennenzulernen. Die ist ja sonst alle Tage allein.«
Diether überlegte nicht lange. Er hatte geglaubt, nur ein paar Schritte gehen zu müssen, doch da irrte er sich. Stattdessen waren sie unterwegs, bis die Dämmerung dem Dunkel der Nacht gewichen war. »Sag mal, wo ist denn das, wo deine Ursel haust?«, wagte Diether endlich zu fragen, als sämtliche belebten Straßen hinter ihnen lagen. »Doch nicht etwa im Stadtgefängnis?« Eine Wolke beißenden Gestanks waberte ihnen entgegen. Dicht vor ihnen ragte bereits die gewaltige Stadtmauer aus Feldstein und Ziegeln auf und reckte ihre Türme in den sternenlosen Himmel.
Es hatte ein Scherz sein sollen, aber Hans lachte nicht. »Weit entfernt davon ist es nicht«,
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