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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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zweite Besuch jedoch verlief verheerender als der erste. Eiskalt fertigte Bechtolt sie auf der Schwelle ab, indem er erklärte, das Geld müsse die Gilde für ihren Aufwand einbehalten. Als Magda sich weigerte, klein beizugeben, ließ er seinen Hausknecht einen Eimer Abwässer ausschütten, sodass ihr die stinkende Brühe über Brust und Gesicht spritzte. Durchnässt, verdreckt und zum Gotterbarmen frierend, musste Magda den Heimweg antreten.
    »Ich hätte dir die Demütigung gern erspart«, sagte Utz, als sie sich endlich bis vor die Tür ihres Hauses geschleppt hatte. »Aber du hast dich ja geweigert, auf mich zu hören.«
    »Demütigung, glaubst du, darauf gebe ich was?«, fauchte sie Utz an und kämpfte wie so oft gegen Tränen des Zorns. »Wir müssen essen, das zählt. Und der Großvater darf uns nicht erfrieren. Für all den Unsinn um Stolz und Ehre, um den ihr Männer ein Gewese macht, habe ich keine Zeit.«
    »Vielleicht wird es ja doch mal wärmer«, meldete sich Diether kleinlaut zu Wort.
    »Du hältst dich raus«, fuhr Utz ihm über den Mund. »Ehe ich mich vergesse und dir gebe, was dir gebührt.«
    Diether erhob sich und verließ das Haus. Magda, die gerade erst kraftlos auf einen Hocker gesunken war, sprang wieder auf und rannte ihm durch den eisigen Schneeregen nach. Vor dem Kontor holte sie ihn ein. »Komm zurück!«, schrie sie. »Spiel du nicht auch noch den Beleidigten, du, dem das alles zu verdanken ist.«
    »Ja, ich, der Endres umgebracht hat, nicht wahr, das glaubst du doch?«, schrie er zurück. »Ich stehle euer Geld, ich bringe Leute um, ich bin an allem schuld, was euch widerfährt.«
    Sie waren im Nu durchnässt bis auf die Haut. »Hast du das Geld etwa nicht genommen?«, fragte sie über das Rauschen des Regens hinweg.
    »Doch, ich hab’s genommen, verdammt, aber ich hab’s nicht gestohlen. Ich dachte, wo es doch der Familie gehört, stünden mir wohl ein paar Pfennige zu, um mich rasieren zu lassen. Lässt Utz sich bitte schön nicht rasieren? Ach, ich vergaß – sogar Utz ist inzwischen ja mehr Mensch als ich.«
    Stärker als je zuvor verspürte sie das Verlangen, ihm die Maulschelle zu verpassen, die er für sein Selbstmitleid verdiente. »Du, du, du!«, schrie sie stattdessen. »Gibt es für dich eigentlich noch andere Menschen auf der Welt, wenigstens einen einzigen?«
    »Ja«, erwiderte er, auf einmal seltsam ruhig. »Aber darüber möchte ich mit dir nicht sprechen. Du hörst ja doch nur das, was du hören willst.«
    »Was ist es denn, was ich hören will?«, schrie sie.
    »Dass ich an allem schuld bin. Nicht der Papst, der Krieg und Mord predigt, nicht die Pfaffen, die dem Volk das Letzte aus den Taschen ziehen, nicht einmal der, der Endres getötet hat, und auch nicht der Dickwanst, der uns alle übers Ohr gehauen hat. Hätte der Dreckskerl den Utz mit seinem Gesäusel nicht kirre gemacht, wären wir vielleicht als Brauer nach Berlin gegangen. Um hier Handel zu treiben, muss man vielleicht mit Spreewasser gewaschen sein, aber unser Bier aus Bernau, das macht uns auch in Berlin keiner nach.«
    »Wären wir als Brauer nach Berlin gegangen«, murmelte Magda vor sich hin, als begreife sie die Worte nicht. In Wahrheit aber begriff sie sehr wohl, kaum dass der Regen das letzte Wort verschluckt hatte. Es war die Lösung. Die einzige. Zwei Dinge besaßen sie in Hülle und Fülle, Getreide und Platz, und viel mehr war zum Brauen nicht nötig. Die Berliner Kaufmannsgilde mochte ihnen die Tür weisen, doch in Bernau waren sie ehrbare Mitglieder ihrer Zunft gewesen. »Komm ins Haus«, befahl sie ihrem Bruder brüsk. »Ab morgen brauen wir wieder. Wir haben unseren Stern und unsere Gagelsträucher, und wir sind die Harzers. Das kann uns niemand nehmen.«

16
    Hinter der Stadtmauer, die Straße nach Spandau hinauf und nach genau tausend Schritten westlich in den Wald. Schlag dich durch bis an den kleinen Weiher mit den Weiden. Dort warte ich auf dich.
    Den Brief mit der Nachricht trug er immer bei sich. Unter dem Hemd, auf der bloßen Haut überm Herzen, hatte die Liebesbotschaft ihren Platz. Zwei volle Jahre lang hatten sie einander dort beim Weiher getroffen, an jedem ersten Montag im Monat, wenn kein Feiertag darauf fiel. Unter den Weiden gab es einen Unterstand, dort machten sie sich von Mai an ihr Lager zurecht. Der Ruf des Kuckucks hatte die Stunden gezählt, ehe seine Liebste sich aus seinen Armen losreißen musste, ihre kostbaren Kleider wieder um sich schnürte und heim zu ihrem

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