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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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erwiderte er mit einem Seufzen. »Da vorn hat der Blutvogt sein Haus, und gleich daneben steht der Kerkerturm. Hinter der Mauer liegt sein Schindanger, deshalb stinkt es hier Tag und Nacht wie im Höllenschlund.«
    »Und da wohnt deine Ursel?«
    Betrübt nickte Hans. »Dort bei den Bäumen steht das Gasthaus – die mieseste Kaschemme in der Stadt, feucht, verdreckt und ein Brutnest für mieses Gelichter. Etwas Besseres kann sich ein armer Schlucker wie ich nicht leisten.«
    »Ja, musst denn du für ihre Unterkunft bezahlen? Haben die Schwestern keine Familie, die für sie sorgt?«
    »Nicht mehr«, erwiderte Hans. »Ursel und Gretlin sind nicht von hier. Sie stammen von einem Gehöft bei Arnswalde. In der Neumark.«
    »Flüchtlinge?«
    Hans nickte. »Deshalb ist Gretlin stumm und fürchtet sich vor Menschen. Sie hat mitansehen müssen, wie polnische Reiter ihrem Vater, ihrer Mutter und dem kleinen Bruder die Köpfe abgeschnitten und sie auf den Mist geworfen haben. Was sie ihr dann noch angetan haben, weiß Ursel nicht, und ich glaub, das ist besser so.«
    Das Gasthaus war nicht mehr als ein baufälliger Verschlag aus Brettern. In der Schankstube saß kein Mensch, nur eine rußende Kienfunzel brannte. »Kanne Bier und Suppe wie immer?«, fragte der Wirt ohne ein Wort der Begrüßung. »Brot auch dazu? Oben geb ich Bescheid.«
    Nach oben, wo sich wohl eine Kammer für Schlafgäste befand, führte eine Leiter, auf der wenig später ein paar bloße Füße und ein ausgefranster Rocksaum erschienen. Hansens Ursel war ein geradezu winziges Geschöpf mit einem weißblonden Gespinst von Haar. Ihre Schwester, die ihr auf dem Fuße folgte, war noch kleiner und weißblonder. Als sie Diether neben Hans erspähte, stieß sie einen Laut aus wie ein Tier in Todesangst und duckte sich hinter den Rücken ihrer Schwester. »Heda«, sagte Diether und trat einen Schritt vor. »Ich will dir doch nichts Böses. Ich bin nur der Diether aus Bernau, ein Freund vom Hans – und eigentlich ein leidlich netter Kerl.«
    Das kleine Wesen hinter dem Rücken der Schwester gab ein Wimmern von sich. Diether kam noch näher und streckte die Hand aus. Das Wimmern wurde lauter, doch ein blonder Schopf reckte sich an der Schulter der Schwester vorbei. Eine angstvoll gefurchte Stirn. Zwei helle Brauen. Ein Paar weit aufgerissene Augen, die vor Furcht zwar flackerten, die aber dennoch nicht gegen ihre Neugier ankamen. Eine kleine Hand streckte sich der seinen entgegen, floh jedoch gleich wieder in ihr Versteck. In diesem Moment, dessen war Diether sicher, veränderte sich sein Leben.

15
    Schlimmer kann es nicht kommen, hatte Magda auch dieses Mal gedacht, und sie hatte sich auch dieses Mal getäuscht.
    An dem Betrag für das Wachs, den der Bote abholen wollte, fehlten zehn Pfennige. Die Familie hatte bei den dicken Erbsen gesessen, die Magda aufgetischt hatte, und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft war so etwas wie Heiterkeit aufgekommen. Sogar Diether wirkte nüchtern und äußerst manierlich, und Lentz war nicht ganz so abwesend wie sonst. Das alles aber zerstob zu nichts, sobald der Bote eintraf. Dreimal ließ er sich von Utz das Geld vorzählen, und dreimal kam dieselbe zu niedrige Summe heraus.
    »Das genügt nicht«, bemerkte der Mann trocken und wollte sich zum Gehen wenden.
    »Der Jude muss es mir falsch ausgezahlt haben!«, rief Utz außer sich und klammerte sich an seinen Arm.
    »Dann geht zum Juden und erzählt es dem. Jeder hier in der Stadt behauptet, dass er vom Juden übers Ohr gehauen wurde, sobald’s ans Zahlen geht.«
    »Aber ich habe doch den Schuldschein für die vereinbarte Summe unterzeichnet«, beteuerte Utz.
    »Und nachgezählt habt Ihr nicht?«
    »Doch, das habe ich«, entfuhr es Utz, ehe er innehielt und jäh verstummte. Sämtliche Blicke richteten sich über den Tisch hinweg auf Diether.
    »Regelt das mit Bechtolt«, sagte der Bote und befreite seinen Arm. »Ich führe nur aus, was mir aufgetragen wurde, und wo kein Geld ist, da kann ich nichts kaufen.«
    Niemand fragte Diether nach der fehlenden Summe, doch die Blicke und das Schweigen sagten ihm genug. Anderntags ging er früh aus dem Haus und kam zum Abendessen nicht zurück.
    Statt seiner kam Bechtolt. Bis dahin hatten Utz und Magda das Haus auf den Kopf gestellt, um das fehlende Geld aufzutreiben, doch natürlich war es nirgends zu finden. An diesem Abend gab es keine Erbsen mit Trockenbirnen und Speck mehr, sondern die Reste vom Brot und eine Suppe aus Wasser und Mehl. Der

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