Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Gatten hastete. Für ihn hatte der Ruf des Kuckucks geklungen wie: Wie lange noch? Wie lange noch? Bis an sein Lebensende würde er ihn hören.
Im Winter hatten sie sich nicht lieben können. Nur manchmal, wenn sie es wagten, in einer verschwiegenen Schänke unter einem Birnbaum zu sitzen und sich an den Händen zu halten. Oder eng umschlungen beim Weiher zu stehen, miteinander frieren und von einer Zukunft träumen, die nie einzutreffen schien. Wie lange noch? Wie lange noch? Sie hatte ihn unter ihre Pelze genommen und ihn getröstet: »Nur noch ein Weilchen, Herzliebster, dann wird es Frühling, und auch der Lebus kann nicht ewig leben.« Hände und Lippen hatten sie sich blau gefroren, und doch erfasste ihn zuweilen eine Sehnsucht nach jenen Tagen in bittersüßer Kälte, die ihm das Herz wie einen Eiszapfen brach.
Jetzt gab es keine Tage bei den Weiden mehr, auch wenn es Frühling wurde und die Reste vom Schnee schmolzen. Drei Briefe hatte er ihr schicken und um ein Treffen betteln müssen. Erst nach dem dritten, der ihn seinen letzten Bogen Papier kostete, sandte sie ihm Antwort. In den zwei hingeworfenen Zeilen, die der Bote brachte, bestellte sie ihn nach Einbruch der Dunkelheit ins Viertel der Zinsleute, in eine totenstille Gasse.
Sooft er an den Weiher, zu ihrem Versteck bei den Weiden gekommen war, hatte sie dort auf ihn gewartet. Kaum hatte sie seinen Schritt erkannt, hatte sie seinen Namen gerufen und war in seine Arme geeilt. Jetzt tastete er sich durch völlige Dunkelheit, darauf bedacht, keine Seele zu wecken, und konnte sie nirgends erspähen. Im Finstern trat er auf ein verendetes Tier und strauchelte. Ein Laut entfuhr ihm, während er mühsam sein Gleichgewicht wiederfand.
»Sei doch still«, vernahm er ihr zischendes Flüstern. »Willst du, dass uns jemand findet? Sollen sie mich an den Pranger stellen, mit Ruten streichen und als Dirne aus der Stadt jagen?«
Allein die Vorstellung, jemand könnte ihrem zarten Leib ein Leid antun, drehte ihm den Magen um. Er tastete sich an der Wand einer Bude entlang zu ihrem Versteck vor und schlang die Arme um sie. »Fronica. Liebste. Dem Himmel sei Dank.«
Gewandt wie eine Katze zog sie sich ein Stück weit zurück. »Bei allen Heiligen, Utz, sei doch leise.«
»Das bin ich ja, Liebste. Mach dir keine Sorgen.« Seine Hände schlossen sich um ihre Wangen, dann löste er mit zitternden Fingern die Knoten, die ihr Gebände um ihr reizendes Kinn mit dem Grübchen hielten. Die Haube öffnete sich, und ihr herrliches Haar fiel ihr hinunter auf die Schultern. Utz hielt den Atem an, ehe er seine Lippen auf ihre presste und sie küsste. Erst dann sah er sich in der Lage zu sprechen. »Ich habe von Lebus gehört, Liebste. Es heißt, er liegt im Sterben. Ist es denn möglich, dass unser Traum sich nach allem doch noch erfüllt? Dass diese Qual ein Ende hat?« Sie hatten den Alten, wenn sie von ihm sprachen, immer Lebus genannt, nie ihren Mann oder Gatten. Ihr Mann war Utz, im Herzen wie im Fleisch, und ihr Gatte würde er sein.
»Wie kannst du denn so reden?« Sie warf den Kopf in den Nacken. »Mein Mann ist noch nicht einmal kalt, und du beträgst dich, als wärst du kein Christenmensch.«
»Verzeih mir. Es war nur die Freude, die mich übermannt hat, der Gedanke, dich bald in jeder Stunde des Tages um mich zu haben.«
Er wollte sie wieder küssen, doch sie hob die Hand. »Utz, ich muss mit dir wie mit einem vernünftigen Menschen sprechen. Ist das möglich? Sieh einmal, auch wenn mein Mann jetzt stirbt – so einfach, wie du es dir vorstellst, geht es nicht. Ich möchte nicht, dass Gerede aufkommt, ich möchte nicht, dass Finger auf mich zeigen und ich geschmäht bin wie Afra von Quitzow.«
»Wer ist Afra von Quitzow?«
»Ach, vergiss es. Die Tochter eines Spandauer Ritters, mit dem mein Mann in geschäftlicher Verbindung steht. Die hat sich mit einem eingelassen, der unter ihr stand, und den Schimpf und Spott, den sie über sich ergehen lassen musste, wünscht man selbst einer Dirne nicht. Keinen Schritt kann sie mehr gehen, ohne dass das Volk um sie zu tuscheln beginnt, und in ihren Kreisen ist sie von nun an eine, die ein Herr von Ehre nicht einmal mit der Zange berühren dürfte.«
»Und der Mann?«, entfuhr es Utz. »Der, mit dem sie sich eingelassen hat?«
»O weh.« Mit der Rechten vollführte sie eine höchst merkwürdige, frivole Geste in Richtung ihrer Scham und danach die Bewegung des Peitschenschwingens. »In dessen Haut möchtest du nicht
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