Das Mädchen aus dem All
sie sich einzuprägen. Miiko sprach kein Wort mehr. Nach mehrmaligem Beugen und Aufrichten nahm sie den Stein und stürzte sich in die dunkle Tiefe.
Nachdem über eine Minute vergangen war und das mutige Mädchen nicht wieder auftauchte, verspürte Dar Weter bange Unruhe. Er suchte sich ebenfalls einen Stein als Ballast, meinte jedoch, einen größeren als Miiko zu brauchen. Gerade hatte er einen riesigen Andesitklumpen gefunden, als Miiko an der Oberfläche erschien. Das Mädchen atmete schwer und machte einen erschöpften Eindruck.
»Da . . . Da unten . . . ist ein . . . Pferd«, brachte sie mühsam hervor.
»Was für ein Pferd?«
— »Eine große Pferdestatue . . . da unten, in einer richtigen Nische. Ich tauche gleich noch mal hinab.«
»Aber das schaffen Sie doch nicht, Miiko! Lassen Sie uns zurückschwimmen und Tauchgeräte und ein Boot holen.«
»Nein! Ich will es ganz allein schaffen,und zwar jetzt gleich, ohne Geräte. Später können wir die anderen holen.«
»Dann komme ich mit!« Dar Weter wollte seinen Stein aufheben. Miiko lächelte.
»Nehmen Sie den kleineren dort. Und wie steht’s mit der Atmung?«
Gehorsam machte Dar Weter ein paar Atemübungen und sprang dann mit dem Stein kopfüber ins Meer. Das Wasser klatschte ihm ins Gesicht, drehte ihn mit dem Rücken zu Miiko, preßte ihm die Brust zusammen und verursachte in den Ohren einen dumpfen Schmerz. Er biß die Zähne zusammen. Das kalte graue Halbdunkel wurde immer dichter, das Tageslicht verblaßte rasch. Die kalte, feindselige Macht der Tiefe bekam Gewalt über ihn, ihm schwindelte, die Augen schmerzten. Plötzlich legte sich Miikos feste Hand auf seine Schulter, und seine Füße berührten den silbern schimmernden festen Sandboden. Als er mühsam den Kopf in die von Miiko gewiesene Richtung drehte, wich er vor Überraschung zurück und ließ den Stein fallen — sofort wurde er nach oben gedrückt. Er wußte nicht, wie er an die Oberfläche gelangt war. Vor seinen Augen wogte ein roter Nebel. Krampfhaft schnappte er nach Luft.
Erst nach einer geraumen Zeit hatte er sich von dem starken Wasserdruck erholt und erinnerte sich, was er gesehen hatte. Nur ein Augenblick war es gewesen, aber wie viele Einzelheiten hatte das Auge wahrgenommen und das Gehirn sich eingeprägt!
Die dunklen Felsen unter Wasser bildeten einen gigantischen Spitzbogen, unter dem eine riesige Pferdestatue stand. Keine einzige Alge oder Muschel haftete an der glattpolierten Oberfläche der Statue. Der unbekannte Bildhauer hatte vor allem die Kraft des Tieres zum Ausdruck bringen wollen. Der vordere Teil des Rumpfes war stark vergrößert, die Brust übermäßig verbreitert und der vorgereckte Hals langgezogen. Das linke Vorderbein war angehoben, sein mächtiger Huf drohend auf die Brust des Betrachters gerichtet. Die Mähne war durch eine gezackte Kurve angedeutet, der Kopf bohrte sich fast in den Bug, die Augen unter der gesenkten Stirn hatten etwas Unheimliches, und auch die angelegten kleinen Ohren unterstrichen den bösartigen Ausdruck des steinernen Ungeheuers.
Nachdem Miiko nach Dar Weter gesehen hatte, der ausgestreckt auf dem flachen Felsvorsprung lag, tauchte sie nochmals. Schließlich war das Mädchen vom tiefen Tauchen erschöpft und hatte sich an ihrem Fund satt gesehen. Sie setzte sich neben Dar Weter und schwieg lange, bis sie wieder normal atmen konnte.
»Ich möchte wissen, wie alt diese Statue ist«, sagte Miiko nachdenklich.
Dar Weter zuckte mit den Achseln. Er erinnerte sich, was ihn am meisten verwundert hatte.
»Warum war an der Statue keine einzige Alge oder Muschel zu sehen?«
Ruckartig wandte sich ihm Miiko zu.
»Das ist nichts Neues. So etwas habe ich schon öfter gesehen. Die Fundstücke waren mit einer besonderen Schutzschicht überzogen; sie verhindert, daß Lebewesen anhaften. Danach zu urteilen, stammt diese Statue aus dem letzten Jahrhundert der Ära der Partikularistischen Welt.«
Im Meer tauchte ein Schwimmer auf. Er kam rasch näher, richtete sich etwas aus dem Wasser auf und winkte den beiden grüßend zu. Dar Weter erkannte die breiten Schultern und die glänzende dunkle Haut Mwen Mass’. Bald darauf zog er sich an dem Felsvorsprung hoch, auf seinem nassen Gesicht lag ein gutmütiges Lächeln. Er verbeugte sich knapp vor der zierlichen Miiko und begrüßte Dar Weter herzlich und unbefangen.
»Ich bin mit Ren Boos auf einen Tag hergekommen, um Ihren Rat zu erbitten.«
»Mit Ren Boos?«
»Dem Physiker von der
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