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Das Mädchen aus dem All

Das Mädchen aus dem All

Titel: Das Mädchen aus dem All Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Jefremow
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brauchte der Maler gerade diese stark ausgeprägten Formen.
    Als der Weg von einem Steinwall gekreuzt wurde, war Weda erstaunt, wie leichtfüßig Tschara Nandi von Stein zu Stein sprang.
    Sie hat zweifellos indisches Blut in den Adern, schlußfolgerte Weda. Bei Gelegenheit werde ich sie danach fragen.
    »Um ›Die Tochter der Thetis‹ malen zu können«, fuhr der Maler fort, »mußte ich das Meer kennenlernen, es ganz in mich aufnehmen, sollte doch meine Kreterin wie Aphrodite aus dem Meer steigen, und jeder sollte dieses Bild verstehen. Bevor ich ›Die Tochter Gondwanas‹ malte, arbeitete ich drei Jahre in einem Forstbetrieb in Äquatorialafrika. Nachdem das Bild fertig war, ging ich als Mechaniker auf ein Postgleitboot und fuhr zwei Jahre lang auf dem Atlantischen Ozean die Post aus — wissen Sie, für all die Fischfang-, Eiweiß- und Salzfabriken, die dort auf gigantischen Metallflößen herumschwimmen.
    Eines Abends befand ich mich mit meinem Boot im mittleren Atlantik, westlich der Azoren, wo zwei Strömungen aufeinandertreffen. Dort herrscht stets starker Wellengang. Bald wurde das Boot hoch emporgehoben, den tiefhängenden Wolken entgegen, bald schoß es ungestüm in ein Wellental. Die Luftschraube heulte. Ich stand neben dem Steuermann auf der hohen Brücke. Und plötzlich — ich werde es nie vergessen. Stellen Sie sich vor, da wälzt sich uns eine Welle entgegen, höher als alle anderen. Auf dem Kamm dieser riesigen Welle, dicht unter den niedrigen, zusammengeballten, perlmuttfarbenen Wolken, steht ein junges Mädchen, bronzefarben ihre Haut. Lautlos nähert sich die Welle. Das Mädchen scheint zu fliegen, sie wirkt unvorstellbar stolz in ihrer Einsamkeit inmitten des Ozeans. Unser Gleitboot wird emporgerissen und schießt an dem Mädchen vorbei, das uns freundlich zuwinkt. Da sah ich, daß sie auf einem Brett stand, wissen Sie, auf so einer Tafel mit Elektromotor und Akku, die man mit den Füßen steuert.«
    »Ich weiß«, warf Dar Weter ein, »wie man sie zum Wellenreiten benutzt.«
    »Am meisten beeindruckte mich, daß sie mutterseelenallein war inmitten der Wolken, der unermeßlichen Weite des Ozeans und in dem Licht des späten Tages. Dieses Mädchen war . . .«
    »Tschara Nandi!« fiel ihm Ewda Nal ins Wort. »Soviel ist klar, aber woher kam sie?«
    »Keineswegs aus Schaum und Sternenlicht!« Tschara brach in ein unerwartethelles Lachen aus. »Lediglich von dem Floß einer Eiweißfabrik. Wir lagen damals in unmittelbarer Nähe des Sargassomeeres, wo wir Chlorellaalgen züchteten. Ich arbeitete dort als Biologin.«
    »Mag sein«, räumte Kart San ein. »Aber von dem Augenblick an waren Sie für mich eine Tochter des Mittelmeers, die Schaumgeborene, die ich als Modell für mein künftiges Bild gewinnen mußte. Ich wartete ein ganzes Jahr.«
    »Kann man es sich mal ansehen?« fragte Weda Kong.
    »Bitte sehr. Aber nur nicht, während ich male. Am besten abends. Ich arbeite sehr langsam und vertrage es nicht, wenn mir jemand dabei zusieht.«
    »Malen Sie mit Ölfarben?«
    »Unsere Arbeitsweise hat sich im Laufe der Jahrtausende kaum verändert. Die optischen Gesetze und das Auge des Menschen sind dieselben geblieben. Verschärft hat sich die Wahrnehmung einiger Schattierungen, neue chromkatoptrische Farben mit Reflexen innerhalb der Farbschicht und verschiedene Methoden der Farbenharmonisierung wurden erfunden. Aber im großen und ganzen hat der Maler im grauen Altertum genauso gearbeitet wie ich heute. Und in gewisser Beziehung noch besser. Glaube und Ausdauer — wir sind zu ungeduldig geworden und nicht mehr von unserer Rechtlichkeit überzeugt. Doch der Kunst tut Naivität manchmal ganz gut. Aber ich schweife schon wieder ab! Für mich, für uns wird’s Zeit. Gehen wir, Tschara.«
    Alle blieben stehen und blickten dem Maler und seinem Modell nach.
    »Jetzt weiß ich genau, wer er ist«, sagte Weda. »Ich habe ›Die Tochter Gondwanas‹ gesehen.«
    »Ich auch«, sagten Ewda Nal und Mwen Mass wie aus einem Munde.
    »Gondwana — ist damit das Land der Gonds in Indien gemeint?« fragte Dar Weter.
    »Nein. Es ist eine Sammelbezeichnung für die Länder der südlichen Halbkugel. insbesondere für das Land der früheren schwarzen Rasse.«
    »Und wie sieht die Tochter der Schwarzen aus?«
    »Das Bild ist sehr schlicht. Vor einem Steppenplateau am Rande eines tropischen Waldes steht im grellen Sonnenlicht ein schwarzhäutiges junges Mädchen. Die eine Hälfte ihres Gesichts und ihres plastischen, wie

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