Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Nichts davon ist zu irgendetwas anderem gut, als sich damit zu schmücken oder Münzen daraus zu prägen.«
»Aber mit den Münzen …«
»Diese Münzen könnten ebenso gut aus Holz sein«, erklärte Cocha ruhig. »Oder aus Muscheln oder Kalkstein. Sie haben nur den Wert, den die Menschen ihnen zugestehen. Du kannst sie weder essen noch melken. Sie lohnen den Aufwand nicht, den man darum betreibt.«
»Hübsch gesprochen«, lobte Kratt und erhob sich von seinem Platz in meinem winzigen Zelt. »Bringt jetzt das Kind zu seiner Mutter zurück. Wenn sie noch immer nicht selbst dafür sorgen kann, soll ein anderer es tun. Wir können keine Kranken mitnehmen.«
»Aber Tronto …?«, fragte ich zaghaft. Ich hatte mich an seinen seltsamen Anblick gewöhnt.
Seltsam?
Er litt unter einer seltenen Hautkrankheit und war so sehr mit dunklen, harten Warzen übersät, dass er wie ein vertrockneter Baum aussah. Aber er war der Einzige gewesen, der mir in der vergangenen Woche wenigstens ab und zu ein ermutigendes Lächeln geschenkt hatte. Ich fand, er hatte sich ein Abenteuer verdient.
»Tronto ist nicht krank, nur hässlich«, antwortete Kratt und klopfte dem Genannten im Herausgehen auf die Stelle, an der sich vermutlich seine Schulter befand. »Er wird uns begleiten.«
Tronto grinste, und ich lächelte zuversichtlich. Obwohl ich es noch nicht angesprochen hatte, war ich guter Hoffnung, dass wir Rossa in Montania finden und um seine Freilassung verhandeln würden. Und um all die Dinge, die Cocha und Kratt so wichtig waren, meinethalben auch.
Insgesamt waren wir neun, die sich auf die beschwerliche Reise begaben: Cocha, ich, Kratt, Mikkoka, Anna, Tronto, Golondrin und zwei junge Männer, deren Namen ich vergessen habe, die aber auch mit einem einzigen Namen ausgekommen wären, denn sie waren Zwillinge, die immerzu aneinanderklebten, einander glichen wie ein Ei dem anderen, und in dem wenigen, was sie sagten, immerzu miteinander übereinstimmten. Entweder redete der eine, während der andere nickte, oder der andere, während der eine seine Zustimmung gestisch kundtat. Aber sie waren hervorragende Kämpfer. Im Umgang mit Bolzen und Armbrust standen sie unseren Hohenheimer Kriegern in nichts nach, und im Nahkampf hätten sie es bestimmt jeweils mit dreien von ihnen aufnehmen können. Selbstverständlich, denn Kratt hatte sie selbst ausgebildet. Und Kratt knotet dir eine Schleife in die Wirbelsäule, ehe du seinen Namen aussprechen kannst, verlass dich drauf.
Ich war auf einen langen, beschwerlichen Marsch an die Ostküste vorbereitet, aber es war noch kraftraubender, als ich gedacht hatte. Ich war so viel körperliche Anstrengung einfach nicht gewohnt. Ich hielt mich für sportlich, weil ich gut im Balancieren auf Zeit war und das Ballringen liebte. Aber nach Cocha, der viel schnaufte, aber nie klagte, war ich wohl von allen am schwächsten, wofür Mikkoka mich unentwegt mit Häme strafte. Bereits nach wenigen Tagen waren die Sohlen m einer hübschen, aber nutzlosen Yakwollstiefel komplett durc hgelaufen, und meine Fersen auch. Die Blasen, die sich darunter gebildet hatten, waren aufgeplatzt, und Cocha reinigte die wässernden Wunden bei jeder Rast mit feuchten Tüchern, pulte Unmengen von Splittern und kleinen Steinen heraus und behandelte sie mit geriebenen Wurzeln, die Tronto irgendwo ausgrub. Letzterer kannte sich mit Hautbeschwerden ja ganz gut aus.
Aber Mikkoka verspottete mich auch dann noch, als ich vor lauter Schmerz in Cochas Hemd schluchzte – da sogar erst recht und umso gemeiner. Dabei hatte sie vernünftige Schuhe an und darum keine Blasen unter den Füßen, und außerdem schleppte ich von allen das schwerste Gepäckstück, ganz bestimmt, und dann ja auch noch den kleinen Beutelwolf, den ich aus der zerstörten Schulstadt gerettet hatte. Mikkoka selbst hingegen trug bloß die Wasservorräte, und die gingen uns unterwegs nicht selten aus. Die hatte wirklich gut reden! Aber ich schlug mich tapfer, obwohl ich fortan statt in Stiefeln bloß auf mehreren Lagen Leinen lief, die Cocha mir allmorgendlich um die Füße wickelte.
Die ersten Nächte verbrachten wir unter freiem Himmel. Ich schlief kaum – es war einfach zu kalt und zu feucht. Stattdessen beobachtete ich Cocha dabei, wie er den Himmel betrachtete und einen Wegweiser nach den Sternen anfertigte, denn wir besaßen keine Karte, an der wir uns hätten orientieren können. Oder ich beschäftigte mich mit meinem Welpen, für den ich zwar keine Milch mehr
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