Das Mädchen aus dem Meer: Roman
ist man von Natur aus sehr empfänglich für große Ideale und alternative Ideen.
Du hast die Seiten gewechselt?
Man wird erwachsen, übernimmt Verantwortung und lernt dazu …
Entschuldige. Ich wollte dich nicht in Erklärungsnot bringen. Ich war ja selbst immer wieder hin- und hergerissen … Und darum jetzt auch zurück zu mir und meiner Geschichte.
Kratt, der unter den Paradieslosen in und um Silberfels herum schon zu dieser Zeit als Anführer galt, war – gelinde gesagt – zunächst nicht sehr erfreut über meine Anwesenheit. Und obwohl ich natürlich zu jeder Zeit Stein und Bein schwor, voll und ganz hinter ihm und den Abtrünnigen zu stehen, war seine Skepsis nicht ganz unberechtigt. Womöglich hat er gespürt, dass ich längst nicht mit so viel Herzblut bei der Sache war wie alle anderen. Eigentlich wollte ich nur bei Cocha sein, aber weil Cocha quasi von Haus aus einer von ihnen war und zumindest er sich meiner Loyalität mehr als gewiss sein konnte, lief es unterm Strich auf das Gleiche hinaus. Kratt konnte mir vertrauen, und das würde er irgendwann auch begreifen. Dachte ich.
Nach dem Beben hielten wir uns eine Woche lang im Umland verborgen. Nachts, wenn die Aufräumarbeiten ruhten, schwirrten jeweils ein paar Leute aus jeder der Gruppen, in die Kratt die Abtrünnigen eingeteilt hatte, aus, um aus den Trümmern der Stadt aufzusammeln, was auch immer sich unter Umständen noch zu irgendetwas verwenden oder verarbeiten ließ. Weil der Herbst den Sommer recht früh abgelöst hatte, sodass jetzt, da sich der Winter ankündigte, kaum noch etwas Essbares in der Wildnis zu finden war, und wir auch kein Feuer entzünden konnten, um Fleisch zu braten oder Wurzeln abzukochen, lebten wir fast ausschließlich von mehr oder weniger verdorbenen Dingen aus dem zerstörten Vorratslager. Als Kratt zu mir und dem Baby, das mir anvertraut worden war, in das primitive Zelt kam, das ich die erste Zeit nicht verlassen durfte, weil er fürchtete, dass ich es mir doch noch anders überlegen und ihn und seine Leute verraten könnte, und als er mir knapp mitteilte, dass er nach Montania gehen würde und zusammen mit den anderen beschlossen hätte, dass ich sie begleiten dürfte, dachte ich, ich hätte ihn davon überzeugt, dass ich sein Vertrauen wert war. Er wollte Gormo, dem Faro von Montania, ein Angebot unterbreiten, erklärte er mir.
Unter den gegebenen Umständen fiel mein Interesse nicht ganz so geheuchelt aus, wie es sonst wohl der Fall gewesen wäre. Politik – ob zwischen anerkannten Staatsführern oder solchen und irgendwelchen Rebellen – war so gar nicht meins, aber …
Nun schau nicht so zweifelnd! Man kann sich seine Eltern eben nicht aussuchen, und wenn deine Eltern Schneider gewesen wären, wöge deine Sehnsucht nach Stopfnadel und Faden hier und jetzt wahrscheinlich auch nicht erheblich schwerer, oder? Na also …
In diesem Fall hörte ich aber trotzdem gut zu, denn Gormo hatte meinen kleinen Bruder entführen lassen. Das zumindest hatte Moijo, mein alter Lehrer, behauptet. Beweise oder auch nur stichhaltige Indizien dafür gab es zu dieser Zeit noch nicht. Ich hoffte jedoch, dass es stimmte, denn dann hatte ich, wenn ich Kratt nach Montania begleitete, vielleicht eine Chance, Rossa zu finden und – mit ein wenig diplomatischem Geschick – zu befreien. Allein würde es mir nicht gelingen, das war mir vollkommen klar. Ich verstand einfach zu wenig von den Dingen. Nicht einmal die Handelsauflagen, die überall im Gerede waren und Gormo so sehr gegen meinen Vater aufgebracht hatten, waren mir in den Einzelheiten bekannt. Eigentlich wusste ich nur, dass Montania dringend auf die Einfuhr von Getreide und ein paar anderen Grundnahrungsmitteln angewiesen war, denn es war ja schon immer ein sehr karges, unfruchtbares Land gewesen. Alles, womit Gormo trumpfen konnte, war seit jeher das Sternensilber, ohne das kein Mana und kein Mani vom Fleck kommt. Auch deines nicht, aber warum erzähle ich dir das …
Die Faronen Cyprias, allen voran mein Vater, waren verärgert über den neuerlichen Preisanstieg, den Gormo beschlossen hatte, und Gormo wiederum war wütend über das Handelsembargo, das die anderen auf Anraten meines Vaters über sein Land verhängt hatten. Es war eine sehr verfahrene Situation, und nach allem, was ich wusste, nachdem sich Cocha und Golondrin ellenlang darüber ausgelassen hatten, befand ich beide Seiten gleichermaßen im Recht und im Unrecht. Natürlich brauchte Gormo Nahrung, um seine
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