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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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blauviolet t sprenkelte. Auch Schnee kannte ich bis dahin bloß aus Büchern, und ich war überrascht, wie schön und vor allem harmlos er wirkte, wie er sich da so sanft auf uns hinabsenkte, als bestünde er nicht aus Wasser, sondern aus winzigen, weichen Federn.
    Gefrorenes Wasser? Wasser, das friert?
    Wasser, das seine Konsistenz verändert, weil es zu kalt geworden ist, Froh. Manchmal bist du richtig witzig. Aber freu dich, dass du dir nichts darunter vorstellen kannst. Und bete zu deinen komischen Göttern, dass das für immer so bleibt. Nimm nur zur Kenntnis, dass gefrorenes Wasser, das vom Himmel fällt, etwas Eiskaltes ist, das die ganze Landschaft um dich herum wie in ein weißes, dichtes Fell packt, was hübsch anzusehen, vor allem aber enorm unangenehm ist. Jeder Schritt, den du durch den Schnee tust, fällt dir so schwer, als ob du durch zähflüssigen Schlamm watest, und die winzigen Flöckchen kriechen dir durch den Kragen und schmelzen auf der Haut, während die größeren Flocken deine Kleider langsam, aber unerbittlich von außen beschweren, durchnässen und auskühlen. Mir war so kalt, dass meine Zähne unentwegt klapperten und ich so sehr bibberte, dass ich wie ein Zitteraal gewirkt haben muss, als ich mich durch den Schnee mühte – zumal ich inzwischen auch einen ähnlich schmalen Körperbau aufwies, denn auf unserer Reise hatte ich mindestens zwölf Pfund von meinem Gewicht eingebüßt. Und eine halbe Tonne meiner Würde. Aber das nur am Rande.
    Die Schneedecke, die sich binnen kürzester Zeit über die Insel legte, verwandelte jede Wurzel und jeden Stein zudem in eine gefährliche Stolperfalle, was besonders unserem Esel schwer zu schaffen machte. Auch darum entschied Kratt, dass wir, anders als gewohnt, für die letzten Stunden nicht mehr durch den Wald kraxeln, sondern die Straße benutzen sollten, die sich durch den dichten Wald schlängelte und von Lurd nach Norgal führte.
    Dem unwirtlichen Wetter zum Trotz herrschte auf dem Weg rege Betriebsamkeit. Oder besser: Es hatte wohl rege Betriebsamkeit geherrscht, ehe es zu schneien begonnen hatte. Soweit wir die weiße Linie, die das hart gefrorene Dickicht vor uns spaltete, überblicken konnten, spickten einzelne oder zu lockeren Zusammenschlüssen kombinierte Karren die Teilstrecke. Aber nur wenige der dunklen Kleckse im Schnee bewegten sich wenigstens langsam voran, denn die meisten Reisenden waren eben Händler, die ihre Waren auf Ochsen-, Pferde- oder Maul tierkarren von Lurd nach Norgal oder zurück brachten und nun schlicht nicht mehr vom Fleck kamen. Räder sind eben keine Kufen, und kein einziger Cyprier, nicht einmal der debilste unter den beklopptesten Reichen, besitzt einen Wagen mit Kufen. Im milden Klima Cyprias rechnet niemand mit so etwas. Der Frost des Morgens war ja schon eine seltene Attraktion gewesen. Aber Schnee …? Wir leben doch nicht am Nordpol!
    Am was?
    Vergiss es, Froh.
    Kratt schienen die widrigen Umstände nicht zu beeindrucken. Im Gegenteil: Er wirkte geradezu euphorisch, während er uns beschämend leichtfüßig durch den Schnee lotste.
    »Sie werden wohl kaum um Verstärkung aus Lurd bitten können, sobald sie merken, dass sie ein paar kostümierten Abtrünnigen ein Schiff zur Verfügung gestellt haben«, erklärte Golondrin mir Kratts unangemessene Zuversicht. »Bis ein Bote in der nächsten Stadt ist und Hilfe kommt, sind wir längst auf und davon.«
    Wir stampften weiter, und als wir das erste im Schnee feststeckende Gespann auf der Straße erreichten, zückte Kratt ohne Vorwarnung sein gestohlenes Schwert und kommandierte die beiden Stoffhändler, die auf dem Bock vor sich hin schlotterten, vom Karren. Auch weil die Zwillinge ihre Armbrüste auf die beiden Männer richteten, beeilten sie sich, der Aufforderung nachzukommen und reichten Tronto (der ihnen allein mit seinem Anblick auf den Schrecken gleich noch den Schock ihres Lebens verpasste) auf dessen Bitte hin eine Rolle ihres wärmsten Stoffs, ehe sie unter der Plane ihres Karrens verschwanden und sich widerstandslos an Händen und Füßen fesseln ließen. Ich konnte Anna noch immer nicht leiden, aber dass sie die Männer sorgfältig mit einem Teil ihrer eigenen Ware zudeckte, während Mikkoka und Cocha die Geschirre der beiden Zugpferde von der Vorderachse lösten, rechnete ich ihr insgeheim hoch an.
    Golondrin half Tronto, seine wurzelwarzigen Hände und auch den größten Teil seines Gesichts unter Stoffstreifen zu verbergen, ehe Cocha mir das eine

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