Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Wasser oder Insekten grub.
Du hast dich nicht verhört, Froh. Die Menschen auf der Ebene waren tatsächlich so verzweifelt, dass sie begonnen hatten, Käfer und Würmer zu verspeisen, wenn sie nicht das Glück hatten, auf eine Knochenechse oder ein anderes Kriechtier zu stoßen. Auch darum schloss sich jeder, der sich zutraute, noch einen Stein nach dem Feind, der mein Vater war, schleudern zu können, unserer Truppe an, die im Laufe der Wochen auf mehr als das Doppelte anwuchs, sodass uns der Proviant vorzeitig auszugehen drohte. Und ich hasste meinen Vater für das, was er diesen Menschen mit seinen rücksichtslosen Maßnahmen angetan hatte und ihnen jetzt mehr denn je zumutete.
Aber ich war auch zunehmend wütend auf Markannesch, dem es in all den Jahren seiner Regentschaft offenbar nicht gelungen war, wenigstens einen kleinen Überschuss zu erwirtschaften, mit dem sich Kanäle und vernünftige Brunnen hätten bauen lassen können.
»Wie denn, kleine Faronin?«, erkundigte er sich betrübt, als ich ihn irgendwann mit diesem Vorwurf konfrontierte. »Ich versuche doch nicht erst seit gestern, einen vernünftigen Handel mit dem Sternensilber zu betreiben. Aber dein Vater und seine Mitstreiter sind nicht mehr bereit, einen angemessenen Preis dafür zu zahlen. Und etwas anderes hat dieses Land nicht zu bieten.«
»Warum sind sie überhaupt hier?«, erkundigte ich mich mit einem Kopfschütteln in Richtung der zahlreichen abgerissenen Gestalten, die uns inzwischen zu Fuß folgten. »Welcher normale Mensch baut ein Haus mitten in der Felswüste?«
»Es hat hier nicht immer so ausgesehen. Es ist gerade einmal vier Generationen her, dass es die Kanäle und Brunnen gab, von denen du gerade gesprochen hast«, antwortete Markannesch bitter. »Anfangs war das Sternensilber ein Luxusgut, das sich gut betuchte Menschen eine Menge kosten ließen. Ein ruderloses Schiff zu besitzen, war ein fast unbezahlbares Privileg, und die Geschäfte liefen so gut, dass die Leute vom ganzen Kontinent hierherkamen, um an den Quellen zu arbeiten und am neuen Reichtum Montanias teilzuhaben. Zahllose Siedlungen und Städte schossen auf der Basis der technischen Neuerungen, für die unser Sternensilber unabdingbar war, aus dem Boden. Die Nachfrage stieg stetig, und die Menschen lebten sorglos und in der trügerischen Sicherheit, dass unsere immerfort sprudelnden Quellen auch immerzu sprudelnden Reichtum bedeuteten.
Aber irgendwann hörte das Sternensilber einfach auf, in meterhohen Fontänen aus dem Fels zu schießen, und wir mussten einsehen, dass nichts für die Ewigkeit bestimmt ist. Wir erhöhten die Preise, um die Nachfrage einzudämmen.«
»Ungünstigerweise besaß inzwischen schon jeder dritte Großhändler, der etwas auf sich hielt, ein eigenes Mani«, vermutete Cocha.
»So war es«, bestätigte Markannesch. »Und die energieaufwändigen Schiffs- und Flugreisen an die Küsten der Primitiven hatten sich zu einem Statussymbol entwickelt, auf das die Faronen Montanias längst nicht mehr verzichten wollten. Jedenfalls verlaufen die Verhandlungen seit Jahrzehnten hart und für unsere Seite unbefriedigend, und im Laufe der Zeit wurde es immer schlimmer. Montania musste immer mehr Abstriche machen, um überhaupt noch mit dem restlichen Cypria ins Geschäft zu kommen, und als dein Vater den Thron bestieg, wussten viele Kinder in den Städten schon nicht mehr, dass es hier einmal Kanäle, Felder und Farmen gegeben hatte. Der Wind fegt unablässig Sand und Steine über die Ebene, und das nötige Geld für die Wartung der Bewässerungssysteme und Windschutzwälle war uns längst ausgegangen. Das Leben hier wurde immer härter, und inzwischen ist es kaum noch möglich.«
»Schick sie in die Sümpfe«, schlug ich vor. »Oder wenigstens an die Küsten, damit sie vom Fischen leben können.«
»Unsere Küsten sind längst überfischt. Du wirst kaum noch ein paar Muscheln an den Stränden finden«, winkte Markannesch ab. »Von irgendetwas mussten sie ja leben. Und die Stämme der Sümpfe können unmöglich eine halbe Million Menschen aufnehmen, denn ungefähr so viele dürften es noch sein, falls der Winter nicht noch mehr Opfer gefordert hat, als ich mir ausgerechnet habe.«
»Eine halbe Million?«, hakte ich nach. Das waren viel mehr, als ich gedacht hatte, aber auch zu wenig, um ein ernsthaftes Problem darzustellen, wenn man erwog, sie auf die anderen sieben Staaten Cyprias zu verteilen. Ich sprach es aus.
»Du redest von Menschen, nicht über
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