Das Mädchen aus dem Meer: Roman
entscheidest. Denn auch hier in den Wäldern bist du nicht sicher, sobald eure Manas fliegen. Sie wissen nicht, wo genau wir sind, darum werden sie einfach auf jede erkennbare Erhöhung schießen, sobald sie die Quellen besetzt haben.« Seufzend ließ er sich in den Sessel hinter seinem mit Papieren, Karten und Büchern überhäuften Arbeitstisch fallen. »Ich habe veranlasst, den Handel vollständig einzustellen«, berichtete er niedergeschlagen. »Es kann sich nur noch um Wochen handeln, bis sie angreifen. Vielleicht nur um Tage. Akkaba hat fünfzig Schiffe zur Verfügung gestellt, außerdem eine Handvoll Luftspäher sowie ein Dutzend Kriegsmanas. Die anderen fünf Staaten werden deinen Vater wohl mit einem ähnlichen Aufgebot unterstützen. Ich kann dir nur raten, nach Hause zu gehen, Chita. Du bist eine gute Seele, und ich will, dass du diesen Krieg überlebst. Die besten Chancen darauf hast du, wenn du dich für den Stärkeren entscheidest. Nimm deinen Bruder mit. Ich will nicht, dass er zu Schaden kommt. Ich will, dass ihr das Erbe eures Vaters antretet und den nachfolgenden Generationen Montanias ein besseres Leben ermöglicht. In diesem Sinne möchte ich dich bitten, sie zurück zum Westhafen zu bringen«, wandte er sich an Kratt, den er ebenfalls zu sich hatte rufen lassen. Ebenso wie den Rest der Gruppe, mit der ich aus Silberfels hierher gekommen war. »Ich weiß, ihr könnt einander leiden wie schlimmen Hautausschlag, aber ich weiß auch, dass ihr euch miteinander arrangieren könnt, wenn ihr wollt. Du bist der beste Kämpfer, den ich kenne, Kratt, und ich will, dass du Chita schützt. Falls ich diesen Frühling überlebe, werde ich dich natürlich angemessen entlohnen.«
»Wir werden den Krieg gewinnen«, erwiderte Kratt überzeugt, ehe ich Markannesch darauf hinweisen konnte, dass ich mich noch gar nicht für oder gegen seinen Vorschlag entschieden hatte. Er hatte mir ja noch nicht einmal Zeit gegeben, das neue Schreiben meines Vaters selbst zu lesen, geschweige denn, das Geschriebene zu verarbeiten!
Cocha hatte also recht gehabt. Es war meinem Vater einzig darum gegangen, den Druck möglichst hoch zu halten und Gormo wissen zu lassen, dass er nicht erpressbar war, und zumindest auf persönlicher Ebene beruhigte mich das ein wenig. Aber mir war auch klar, dass dieser Widerruf des Urteils, das er über mich gesprochen hatte, seine Zeit brauchte, um der Allgemeinheit bekannt zu werden. Und nicht wenige derer, die noch davon erfuhren, ehe sie meinen Weg kreuzten, würden mir dennoch nach dem Leben trachten, denn da war immer noch der Aufstand, der auf unseren Inseln tobte. Der Hass der Menschen richtete sich praktisch gegen jeden, der ein Symbol im Nacken trug, aber die Gefahren, die überall auf Lijm und Jama auf mich lauern mochten, waren nicht der Grund, warum mein erster Impuls keineswegs darin bestand, mich über die erteilte Absolution zu freuen und schnurstracks meine Stiefel zu schnüren, um mit dem nächsten Handelsschiff in heimische Gewässer zu wechseln: Ich hatte begonnen, das Montania der Sümpfe und die Freiheit, die ich hier genoss, zu lieben, Markannesch als ehrbaren Menschen und sanfte Autorität zu respektieren und einen echten, eigenen Sinn für Recht und Unrecht zu entwickeln. Wie gesagt redete ich Cocha schon lange nicht mehr nach dem Maul, sondern hatte die Zeit genutzt, um zu lernen und mir mein eigenes Bild von den Dingen zu machen, das dem seinen aber sehr nahe kam.
Außerdem musste ich ihn nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass er ganz sicher nicht nach Jama zurückkehren würde. Und das nicht, weil er nach wie vor als Rechtloser galt, sondern aus Überzeugung. Genau wie Mikkoka, Tronto und Golondrin würde er bis zum letzten Atemzug zu Gormo halten.
»Ich bleibe«, schloss sich Cocha Kratt auch im nächsten Moment an, und ich nickte zustimmend.
»Wir alle bleiben«, schloss ich mich stellvertretend für Golondrin, Mikkoka und Tronto an. »Mein Vater ist im Unrecht. Und die Gerechtigkeit wird siegen.«
»Ich bleibe«, erklärte Mikkoka trotzdem mit einem knappen, verächtlichen Seitenblick in meine Richtung. Sie legte eben Wert darauf, für sich selbst zu sprechen.
Ich rollte mit den Augen.
Markannesch bedachte uns reihum mit einem nachdenk lichen Stirnrunzeln. Schließlich schüttelte er seufzend den Kopf.
»Ich habe es befürchtet«, sagte er, »aber ich wollte euch mein Angebot trotzdem nicht vorenthalten. Weil ich es ernst meine. Ich bin nicht enttäuscht, wenn ihr
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