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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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stirnrunzelnd und deutete mit dem ausgestreckten Arm in den inzwischen sternenklaren Nachthimmel. »Siehst du diesen Stern? Und daneben den, der ein kleines bisschen weniger hell leuchtet? Dann dieser – schräg unter dem ersten … Sirrah.«
    Froh nickte. Er sah sehr viele Sterne.
    »Es ist der Pegasus. Das Sternbild, das ich letzte Nacht durch das große Fenster über meinem Bett gesehen hätte, wenn ich zu Hause gewesen wäre, statt weit weg in Kantorram. Ich hatte die Wahl, denn mein Vater … Ach, ich greife schon wieder vor. Jedenfalls«, fügte sie bestürzt hinzu, »haben wir unser Ziel erreicht. Ich kann kaum glauben, wie weit die Welle mich fortgespült hat, aber wir sind in Jama. Vielleicht sogar in Hohenheim, zumindest aber nicht weit davon entfernt.«
    Froh hob eine Braue, ohne das Rudern einzustellen. »Möchtest du einen Fisch?«
    »Wie bitte?« Chita wirkte aus dem Konzept geworfen.
    »Ob du einen Fisch möchtest«, wiederholte Froh ruhig. »Du sitzt auf einem Sack voller Fische.«
    »Froh!«, entfuhr es Chita vorwurfsvoll. Sie versuchte aufzuspringen, fand aber in dem engen, stetig schwankenden Baumboot nicht auf die Füße, verlor das Gleichgewicht und landete mit einem schnalzenden Geräusch auf den nassen Säcken.
    Zum Glück, dachte Froh, war es auch in der Nacht noch sehr warm. Zu warm, genau wie während der vergangenen Tage. Andernfalls wäre seine kleine Gesandte der Götter längst bis auf die Knochen durchgefroren.
    »Du kannst doch nicht … Ich meine …« Sie gestikulierte wild herum. »Hörst du mir denn gar nicht zu? Ich sagte: Wir sind in Hohenheim . Das hier … Dort irgendwo … Also, hier jedenfalls ist mein Zuhause. War mein Zuhause … Es ist nichts geblieben, gar nichts. Die Stadt, der Palast, die Wälder und Dörfer, der Wall … Alles ist verschwunden! All die Menschen, von denen ich dir erzählt habe. Hier ist nichts mehr! Überhaupt nichts! Und du … du fragst mich, ob ich einen Fisch haben möchte! Einen … verdammten … Fisch !«
    Froh nickte. »Hier ist nichts«, bestätigte er gelassen. Er hatte nichts anderes erwartet. Außer vielleicht einen nackten, überaus unentspannten Gott. »Möchtest du denn einen Fisch? Du musst längst wieder durstig sein, aber ich habe kein Wasser mehr.«
    Chita starrte ihn an.
    »Vielleicht hilft der Fisch gegen den schlimmsten Durst, wenn du ihn zuvor vom Salzwasser befreist«, fügte Froh ermutigend hinzu.
    »Mein Zuhause …«, flüsterte Chita tonlos, und er sah, wie neue Tränen in der Dunkelheit glitzerten. »Nicht nur Montania. Auch Jama ist irgendwo da unten im Meer. Und wenn die Welle so weit gelangt ist, dann hat sie zweifellos auch Ljim und Rossa von der Erde getilgt. Es ist alles … weg, Froh! Alles ist nur noch Wasser !«
    Froh legte die Paddel beiseite und rückte an sie heran, um seine Arme um ihre plötzlich zitternden Schultern zu legen. Sie ließ es zu.
    »Ich hatte es befürchtet«, flüsterte sie irgendwann. »Ich glaube, ganz tief in mir habe ich es sogar gewusst, verstehst du? Ich habe die Welle gesehen. Es konnte gar nicht anders sein, aber ich wollte es nicht wahrhaben und habe mich geweigert, auch nur eine Sekunde in Betracht zu ziehen, dass es sein könnte, wie mein Verstand mir sagte, dass es sein musste . Ich hatte gehofft, dass es doch nicht so schlimm war, wie es schien. Ich hatte geglaubt, dass es nur Kantorram, vielleicht sogar ganz Montania, getroffen hatte. Und vielleicht auch ein paar Küstendörfer in Jama oder die Halbinsel Romoh im Südosten Montanias … Weil ich es glauben wollte . Weil alles viel zu schrecklich war, um es zu akzeptieren … Aber ich habe Leichen gesehen. Zahllose Leichen und Kadaver. Trümmer, Flammenwerfer, Schlamm, Wracks, Kugelschleudern, die Mauern der Stadt und die Fassaden der Häuser … Jahrhundertalte Bilder in Stein …«
    Froh streichelte ihr noch feuchtes, nichtsdestotrotz aber samtweiches goldenes Haar. Eine ganze Weile hielt er sie einfach schweigend im Arm, bis sie schließlich die Schultern straffte, die Nase hochzog und sich aus seiner Umarmung wand.
    »Dort entlang«, sagte sie und deutete nach Nordwesten. »Bitte. Bring mich nach Cypria. Es kann nicht alles verschwunden sein.«
    Er nickte und setzte dazu an, ihrer Bitte Folge zu leisten. Aber ehe er wieder nach den Paddeln greifen konnte, wandte sie sich doch noch einmal an ihn.
    »Froh?«, erkundigte sie sich kleinlaut. »Könnte ich vielleicht doch einen Fisch bekommen?«

9
    W enn alle an diesem großen Fest

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