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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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teilhaben wollten – warum sind eure Eltern dann nicht mit euch in die Stadt gereist?
    Weil sie schon da waren. Sie waren bereits am Vortag aufgebrochen, um am großen Empfang im Haus des Statthalters von Kirm teilzunehmen. So war es Sitte, und es hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass sie sich nicht dem Gedränge auf der befestigten Straße aussetzen mussten. Weil wir ritten, mussten wir das zum Glück auch nicht. Nur die letzten Schritte führten über die gepflasterte Straße, denn Kirm war von einem Schutzwall umgeben, der dem, der Hohenheim umgab, in kaum etwas nachstand. Streng genommen sicherte der Wall von Kirm jene, die dahinter lebten, sogar noch ein bisschen besser, denn durch ihn führte bloß ein einziges Tor.
    Der Andrang darauf war unglaublich. Krieger der Stadt versuchten verzweifelt, Ordnung in das Chaos aus Menschen, Zugtieren und Karren zu bringen, aber es war sinnlos. Als wir uns der Straße vom Acker aus näherten, sah ich, wie eine Frau von hinten angerempelt wurde und stürzte. Der Mann, der sie begleitete, konnte sie gerade noch in die Höhe reißen, ehe sie von all den Leuten, die sich vor dem Tor drängelten, in Grund und Boden getrampelt werden konnte. Ich war wirklich froh, nicht dem einfachen Fußvolk anzugehören. Auf dem Rücken meiner Freiheit war ich sicher.
    Der Ritt – mein erster wirklich großer Ritt – war fantastisch gewesen. Ich fühlte mich mindestens doppelt so alt, wie ich war, und Moijos Geplapper von heimischen Vögeln, Nagern und Gewächsen, mit dem er uns unterwegs ununterbrochen in den Ohren gelegen hatte, hatte mich deutlich weniger gestört als üblich.
    Im Gegensatz zu allen anderen Leuten, die es sich leisten konnten, zu Pferde zu kommen, mussten wir auch jetzt, da wir Kirm erreichten, nicht absitzen. Als die Krieger auf dem Schutzwall das Wappen auf der Fahne in der Hand des Kriegers ausmachten, der uns vorausritt, ertönte ein Signal aus einem Horn. Damit man seine Blessuren nicht sah, zog mein Bruder die Kapuze seines Mantels tief in die Stirn. Ein kleiner Elitetrupp, der unserer Ankunft geharrt hatte, zwängte sich wenig rücksichtsvoll durch die Menschenmenge, kläffte uns eine Schneise hinein und passte auf, dass uns und unseren Männern niemand zu nahe kam, während wir hoch zu Ross durch das Tor ritten.
    Niemand beklagte sich darüber. Stattdessen stellten sich die Menschen auf die Zehenspitzen, winkten uns und riefen uns nette Worte zu. Wir waren die Kinder des Faros, und meine Eltern wurden allseits geachtet und geliebt. Mein Zorn auf meinen Vater rückte aus der Verdrängung ins Fast-Vergessen, und ich lächelte stolz und nahm eine Haltung ein, die ich für würdevoll hielt, während Freiheit über das Pflaster trabte.
    Warum seid ihr nicht geflogen?
    Du willst mich hochnehmen, nicht wahr? Überall lauerst du auf einen Anlass, der Raum für Zweifel bietet …
    Aber ich muss dich enttäuschen: Auch dafür gibt es eine plausible Erklärung. Es wäre schlicht zu teuer. Nicht einmal meine Eltern hätten eine so kurze Strecke in einem Mana zurückgelegt. Selbst jenes, das im Rahmen des Handelsfests aufstieg, startete nicht bloß zu dem Zweck, dem Pöbel oder den Geschäftspartnern zu imponieren – obwohl es selbstverständlich ein ganz besonders großes und aufwändig gestaltetes Exemplar war. Es hatte Waren geladen, die es auf eine der anderen Inseln unserer beiden Staaten oder aufs Festland brachte. An diesem Tag sollte es, wenn ich mich nicht irre, nach Montania fliegen. Ein Land, von dem ich dir bestimmt noch viel erzählen werde.
    Aber das Mana startete erst am Ende des Fests. Es war der krönende Abschluss, wenn du so willst – zumindest, was die Feierlichkeiten auf den Straßen anbelangte. In den Gasthäusern, Wohnstuben und öffentlichen Sälen tanzten, sangen und speisten die Leute natürlich noch bis tief in die Nacht, manche bis zum Morgengrauen. Viele legten eine weite Reise zurück, und diese Mühen nahm man nicht bloß auf sich, um ein paar hübsch geschmückte Wagen, ein Mana und (wenn man einen guten Platz erwischte) vielleicht den Faro von Weitem zu sehen …
    Auf dem Weg zum Rathaus im Zentrum der Stadt genoss ich den Jubel der Masse und wuchs dabei um gefühlte zwei Köpfe in die Höhe. Das war wirklich etwas anderes, als anonym unter der Plane des bewusst neutral gehaltenen Wagens kauernd über das Pflaster zu holpern. Es war wundervoll, und ich war ein wenig betrübt, als wir unser Ziel erreichten. Selbstverständlich würde ich die

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