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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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auch immer hier gespielt wurde, hatte mit normaler Loyalität zu einem Freund, der sich heimlich mit einer Mitschülerin vergnügte, nichts mehr zu tun.
    »Geh zur Seite«, bestimmte Golondrin, und Mikkoka gab widerwillig die letzte Tür frei. Ich bedachte sie mit einem Blick, der sie wissen ließ, dass ich noch lange nicht mit ihr fertig war, streckte die Hand nach dem Türknauf, warf den Kopf in den Nacken, stolzierte entschlossen in das Zimmer …
    … und stürzte in ein tiefes schwarzes Loch.
    Und zwar nicht im übertragenen Sinne.
    Mit einem spitzen Schrei und einem dumpfen Knall landete ich am Grund eines engen, rechteckigen Schachtes, der sich da befunden hatte, wo meine Füße eigentlich von hölzernen Bodendielen hätten abfedern müssen. Er reichte gut anderthalb Mannslängen in die Tiefe, und auf dem Weg nach unten schlug ich mir zuerst die Stirn und dann den Hinterkopf an, ehe ich auf den Knien landete, die sich anfühlten, als zersprängen sie in tausend Stücke. Im gleichen Augenblick schrammte ich mir die Unterarme an der rauen Felswand auf, als ich im Reflex die Hände vor mein lädiertes Gesicht riss.
    Cochas Freunde fluchten im Haus über mir, aber auch aus einer anderen Richtung vernahm ich aufgeregte Stimmen. Wimmernd und benebelt von Schmerz und Schreck drehte ich den Kopf und blickte in einen Tunnel, der in die Finsternis des Untergrunds führte. Schritte hallten durch die Dunkelheit, und im nächsten Moment löste sich ein Schatten aus der Schwärze, der mich packte und in die Höhe riss.
    Es war Cocha, der mich mit einer Mischung aus Schreck und Ärger von der Stirn bis zu den Zehen begutachtete, nachdem er mich unsanft zu sich herumgedreht hatte.
    »Chita!«, schalt er mich leise, aber offenkundig sehr wütend. »Was tust du hier? Du spionierst mir also wirklich nach, ja? Nun siehst du, was du davon hast, du dummes kleines Mädchen!«
    »Ich spioniere nicht!«, behauptete ich und schüttelte heftig den Kopf, was ich in der nächsten Sekunde bereute, denn als ich davon abließ, schüttelte der enge Schacht sich einfach trotzdem weiter, als empfände er einen Würgereiz und wollte mich gleich zurück ans Tageslicht spucken. »Ich wollte Anna etwas fragen … Wegen der Ausschreibungen für die Reise zu den Kerichellen. Und dann hat Mikkoka gesagt, sie sei in ihrem Zimmer, und dann bin ich rein und …«
    »Sie lügt!«, flötete Mikkoka über mir.
    »Geh zur Seite«, bestimmte Golondrin und sperrte das spärliche Licht aus, das von oben zu uns in den Schacht fiel, indem er sich durch die Luke in Annas Zimmer schob. Um uns zu erreichen, benutzte er vernünftigerweise die bogenförmigen Sprossen, die in regelmäßigen Abständen an einer Seite des Schachtes in den Fels geschlagen worden waren. So tat der Abstieg nicht so weh.
    »Warum hast du sie nicht aufgehalten?«, schimpfte Cocha, ohne ihn anzusehen, denn allem Ärger zum Trotz war er intensiv damit beschäftigt, mir die völlig ruinierte Frisur aus dem Gesicht zu streicheln, um die Wunde an meiner Stirn zu begutachten. Es war auf eine irritierende Art wunderbar schrecklich. Ich sah vermutlich aus, als wäre ich von einem Yak über den Haufen gerannt worden, und fühlte mich auch ganz so, und außerdem war Cocha sauer auf mich. Aber er kümmerte sich um mich, und jede seiner Gesten zeugte von echter Sorge. Egal, was er sagte: In diesem Moment war er mein großer Retter. Außerdem hatte er wahrscheinlich doch nichts mit Anna.
    Aber was hatte das alles zu bedeuten? Dieser Geheimgang, der über viele Jahre in aller Heimlichkeit in den felsigen Grund geschlagen worden war … Wohin führte er? Wer hatte ihn erschaffen und zu welchem Zweck? Und warum wussten alle seine Freunde davon – nur ich nicht? Wieso grenzten sie mich aus? Hielten sie mich für ein verwöhntes reiches Mädchen, das über alles, was es erlebte, gleich zu Hause Bericht erstattete? Für eine gemeine Spielverderberin? Das war ich nicht, und Cocha, so fand ich, hätte mich gut genug kennen müssen, um das zu wissen.
    Golondrin quetschte sich zu uns und schob uns auf diese Weise einen Schritt in den Tunnel hinein.
    »Wohin führt er?«, fragte ich geradeheraus. »Unter dem Kanal hindurch in die Wälder? Trefft ihr euch dort heimlich in eurer freien Zeit? Und wenn ja: Was macht ihr dann da?«
    Cocha wand sich sichtlich und bedachte Golondrin mit einem weiteren bösen Blick, aber der zuckte nur hilflos die Schulter. »Ich habe alles versucht«, verteidigte er sich. »Aber Mikkoka

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