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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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spürbar langsamer über die Wellen, und eines der anderen Tiere schien die Not seines Gefährten zu erkennen, schob sich gleich neben ihn und bewegte sich vollkommen synchron zu ihm, bis Chita endlich (endlich!) schwach eine Hand nach seiner Fluke ausstreckte.
    Als er sicher war, dass sie sich aus eigener Kraft halten konnte, löste Froh vorsichtig seinen Griff, und so ritten sie nebeneinander auf dem Rücken liegend und an jeweils eine rettende Fluke geklammert dem Horizont entgegen. Die Götterfische waren verschwunden.
    »Wale fressen wohl Fisch«, erklärte Froh lächelnd, als er am späten Nachmittag ein kleines Riff am Rand der Welt erspähte.
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen«, erwiderte Chita in leidigem Tonfall, »wie sehr ich mich darauf freue, endlich wieder in ein Mana zu kotzen.«
    »Vielleicht freust du dich erst einmal darauf, gleich endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben?«, schlug Froh vor.
    »Festen … Was? Oh!« Jetzt sah sie es auch. Es waren nur wenige zerklüftete Felsen, die da in einiger Entfernung aus den seichten Wellen ragten. Aber sie waren trocken, und sie wackelten nicht. Zum ersten Mal, seit er sie geborgen hatte, strahlte Chita über das ganze Gesicht.
    Froh lächelte. »Lass uns schwimmen«, schlug er vor. »Viel näher werden uns unsere Freunde kaum herantragen können. Sieh nur: Man kann schon bis auf den Grund hinabsehen!«

22
    D as Meer war so seicht, dass sie die letzten zweihundert Schritte bis zu dem winzigen Eiland durch das Wasser hätten waten können, wenn der Untergrund nicht aus unebenen, überaus scharfkantigen Felsen bestanden hätte. So aber gestaltete sich das letzte Stück zu dem Fitzelchen Festland, das da verheißungsvoll fest und trocken aus dem Wasser ragte, als kleine Tortur.
    Es waren keine Korallen, die Froh hinterlistig die Haut von den Knochen zu schälen versuchten, während er sich teils kletternd, teils schwimmend zwischen ihn hindurchmühte, stellte er erstaunt fest, sondern wirklich nur Steine. Schiefer, um genau zu sein. Und hätte er nicht gewusst, dass die See die Kanten selbst dann hätte geschliffen haben müssen, wenn sie den Stein lediglich bei Flut umspielte, und hätte er zudem ignoriert, dass die Ebbe noch viele Stunden anhalten musste, hätte ihm spätestens der junge Maulbeerbaum, in dessen Zweigen er sich auf einmal verfing, verraten, dass sich dieser Teil der Welt noch vor kurzer Zeit oberhalb der Wasseroberfläche befunden hatte. Denn Maulbeerbäume wuchsen nicht im Meer.
    Ist das möglich?, staunte er, während er sich mühselig aus der Baumkrone strampelte. Die nunmehr weichen, gezackten Blätter des Gewächses hefteten sich an seine Waden, und eines klebte glitschig in seinem Gesicht und ließ sich kaum abschütteln, als begriffen sie ihn als Rettungsboot. Froh ertastete etwas noch Glitschigeres unter Wasser und erkannte es als aufgequollene Maulbeere, die er reflexartig in seinem Mund verschwinden ließ, ehe ihn das schlechte Gewissen packte und er abtauchte, um eine Handvoll Früchte für Chita zu erbeuten. Der enormen Hitze zum Trotz fröstelte ihn dabei. Konnte es tatsächlich eine Welle gegeben haben, die ein großes Stück Land verschlungen hatte?
    Es gab Geschichten, erinnerte er sich. Geschichten von monströsen Wellenkämmen, die auf die Welt zurasten und zahllose Dörfer niederwalzten und Menschen und Tiere töteten und das fruchtbare Land an den Küsten über Monate hinweg in eine triste Schlammwüste verwandelten. Aber in diesen Geschichten verschwanden die Wellen auch wieder. Ja, sie hinterließen Elend und Tod und Leid und Zerstörung, und sie zählten gewiss zu den schlimmsten Strafen, die die Götter für die Menschen parat hielten – als letztes Mittel selbstverständlich, denn sie waren ja gütig und gnädig. Doch diese Wellen blieben niemals einfach da …
    Das war unmöglich. Selbst Ivi, dem das Meer gehörte, musste sich auf die Mittel beschränken, die der Große Erschaffer ihm zu Anbeginn der Zeit zugeteilt hatte, ehe er sich in Liebe verwandelt hatte. Und Wasser fiel zwar hin und wieder tatsächlich einfach vom Himmel, aber auch erst, nachdem Horgo, der Gott der Wolken, es Ivi zuvor gestohlen hatte.
    Gab es einen neuen Gott? War da oben jemand, der Neues erschuf? Neues Wasser, neue Menschen, und vielleicht sogar … noch mehr neue Götter?
    Froh schüttelte sich. Bitte, lass es nicht so sein, wandte er sich im Stillen an Ivi, der ihm auch, da er ihm so zürnte, noch der wichtigste Gott

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