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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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ich meine.
    Tatsächlich rettete er mir sogar noch in der Grotte das Leben.
    Laris hatte seine Zahnstümpfe gerade wieder hinter den aufgeplatzten Lippen verborgen, als Golondrin plötzlich zu uns hinüberhastete. Er hatte sich mit einer sehr ausgemergelten, schmutzigen Frau unterhalten, die in sich zusammengesunken am Ufer des Sees saß und einen Säugling stillte, der dann und wann unzufrieden knatschte – vermutlich, weil die Brust der Mutter kaum mehr als ein paar dünnflüssige Milchtröpfchen hergab. Die Frau war wirklich unglaublich dünn, kaum mehr als ein Skelett.
    »Kratt kommt!«, zischte er, als er dicht genug bei uns war, um von uns gehört zu werden, ohne dass das Echo seine Stimme gleich durch die ganze Grotte trug. »Du musst verschwinden, Chita!«
    Er gestikulierte aufgeregt in Richtung einer Felsspalte auf der anderen Seite des Sees, die mir bis dahin noch gar nicht aufgefallen war, in der ich nun aber auch ein schwaches Leuchten wie von einer sich nähernden Öllampe oder Laterne erkannte. Cocha flüsterte einen Fluch und schob mich unsanft auf den Durchgang neben der Mulde hinter dem Bretterverschlag zu, aber als wir ihn fast erreicht hatten, vernahmen wir auch aus der Richtung, aus der wir gekommen waren, sich nähernde Schritte. Cocha verharrte abrupt und ließ den Blick seiner stechend blauen Augen für einen Moment gehetzt zwischen den beiden Felsspalten umherhuschen, ehe er mich schließlich mit einer energischen Geste hinter den Sichtschutz schob. An vielen Stellen waren die dampfenden Fäkalien über den Rand der Grube geschwappt, und so wäre ich um ein Haar auf etwas übel Riechendem, Glitschigem ausgerutscht und prompt in die Jauche gestürzt. Ich fand gerade noch Halt an der Holzwand und dankte es Cocha mit ein paar bitterbösen Worten.
    »Sei still!«, schalt er mich und wagte es endlich für einen kurzen Moment, sich von den Felsspalten ab- und mir zuzuwenden. »Du wirst hinter diesem Sichtschutz bleiben und die Klappe halten, hast du mich verstanden?«
    Ich rümpfte die Nase und bedauerte es in der gleichen Sekunde, weil es diversen Gasen, die da gleich neben mir aufstiegen, erlaubte, ungebremst hinter meine Schläfen zu rasen und sich tief in mein Gehirn zu ätzen. Wieder war ich kurz davor, mich zu übergeben. Ich musste mich wirklich darauf konzentrieren, es nicht zu tun.
    »Und was ist, wenn nicht?«, erwiderte ich dennoch voller Trotz.
    »Dann wird Kratt dich töten«, erklärte Cocha ernst.
    Und damit ließ er mich hinter dem Verschlag vor einer riesigen Grube voller Fäkalien stehen und eilte zu den Krüppeln am See zurück. »Ihr habt niemanden gesehen«, hörte ich ihn noch zischen, ehe sich seine unverkennbare Stimme unter die der Kranken mischte, die nun aufgeregt anschwollen.
    »Kratt kommt, Kratt kommt!«, rief der Simpel, den Cocha vorhin geküsst hatte, und versuchte dabei wieder, in die klobigen Hände zu klatschen, und irgendwo lachte ein Kind. Wer auch immer dieser Kratt war, der mich angeblich auf der Stelle töten würde, wenn er mich sah: Hier unten schien seine Ankunft ein Grund zur Freude zu sein.
    Zunächst aber erreichte Mikkoka die Grotte. Ihre Schritte waren es gewesen, die durch das Labyrinth zu uns hineingedrungen waren, und obwohl ich ein wenig erleichtert war, weil ich zu wissen glaubte, dass sie Cocha und Golondrin nicht in den Rücken fallen würde, ärgerte ich mich gleichzeitig über sie, weil sie im denkbar ungünstigsten Moment zu uns aufgeschlossen war. Wäre sie nicht gewesen, hätte Cocha mich irgendwo in diesen Stollen verstecken können, statt mich neben dieser Kloake abzusetzen. Aber nun war es zu spät, wie ich mit angehaltenem Atem durch eines der zahlreichen Astlöcher in der Bretterwand erkannte, denn jetzt schoben sich auch schon zwei drahtige Gestalten durch den gegenüberliegenden Felsspalt.
    Und wurden von allen, die sich irgendwie vom Fleck bewegen konnten, regelrecht überrannt.
    Wie eine Schar Totengräberkäfer wälzte sich die Masse der Halbtoten über die beiden Ankömmlinge und schluckte sie, um sie mit Haut und Haar zu verschlingen. So zumindest sah es im ersten Moment für mich aus. Dann erschienen zwei weitere Fremde, und ich erkannte den Grund für den plötzlichen Tumult, ehe auch diese Männer im Pulk verschwanden: Sie trugen Körbe herbei, in denen irgendetwas Essbares war, auf das sich die ausgehungerten Kreaturen stürzten, um die größten Stücke abzubekommen, die ich erst als getrocknetes Fleisch erkannte, als

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