Das Mädchen aus dem Meer: Roman
und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Und sieh an: Das Los hat gleich uns beide getroffen. Welch ein Zufall. Und jetzt komm schon.«
Ich gestikulierte zur Bühne hinab, auf der der Lehrmeister, der unsere Namen verlesen hatte, sich bereits irritiert und auch ein wenig ungeduldig im bis zum Bersten gefüllten Theater umschaute. Einige Novizen begannen miteinander zu flüstern, und während Cocha noch immer wie versteinert dasaß, schwoll dieses Flüstern zu einem konstanten Raunen an, das den ganzen Saal erfüllte. Zahlreiche Gesichter wandten sich uns zu. Mikkoka klatschte sich mit der flachen Hand vor die Stirn und ließ den Hinterkopf auf die Oberkante der Lehne sinken, um Grimassen schneidend an die Decke des Theaters zu starren.
Endlich stand Cocha auf. Aber er tat es überaus unwillig – davor konnte selbst ich die Augen jetzt nicht mehr verschließen.
»Du hättest mich vorher fragen müssen!«, zischte er und ballte die Hände zu Fäusten.
Ich zog die Schultern zusammen, als hätte mir jemand in den Magen geschlagen, denn genau so wirkten seine Worte auf m ich. Und vor allem litt ich unter seinem Blick. Es war der gleiche, mit dem er mich vor vielen Jahren angespuckt hatte.
Um Deeskalation bemüht, streichelte ich ihm zaghaft über den Rücken seiner großen, starken Hand, aber er zog sie ruppig und noch immer zur Faust geballt zurück.
»Ich dachte, du freust dich!«, verteidigte ich mich. Ich konnte mir nicht erklären, was mit ihm los war. Hatte er Pläne mit den Paradieslosen? Erforderte der Untergrund seine Anwesenheit genau in der Zeit, in die die Exkursion fiel? Wenn, dann hätte er mir das nur erzählen müssen – ob ich es nachvollziehen konnte oder nicht: Ich hätte Rücksicht darauf genommen!
Aber all das konnte ich hier im Theater natürlich nicht aussprechen. Hier und jetzt ging es darum, ihn zu besänftigen, zur Bühne zu führen, unsere Unterlagen entgegenzunehmen und …
»Jamachita?«
Eine Stimme, so vertraut und doch schon fast vergessen, riss mich aus meinen Gedanken, und auch Cocha hörte auf, mich anzufunkeln, sondern wandte sich ab und schaute den Gang hinauf, der hinter dem letzten Rang entlang und zu beiden Seiten über die Treppen hinabführte. Als wir uns niedergelassen hatten, war er leer gewesen. Jetzt war er voller Menschen, derer ich nur zwei auf den ersten Blick erkannte: Den Dekan und …
Moijo!
Er war es gewesen, der meinen Namen gesagt hatte. Nicht Cocha und ich, sondern Moijo, der Dekan und das knappe Dutzend Krieger, das da plötzlich hinter uns erschienen war, waren der Grund für das Raunen und all die Augenpaare, die aus den unteren Rängen nach oben gerichtet waren.
Moijo? Dein alter Lehrmeister?
Ja. Er und die anderen hatten sich so leise über den Gang bewegt, dass wir sie nicht hatten kommen hören, und nun stand Moijo unmittelbar hinter mir und ließ eine Hand auf meine Schulter sinken.
»Die Umstände erfordern deine sofortige Rückkehr nach Hohenheim«, erklärte er, und der Dekan, der kaum weniger überrascht schien als ich, hob hilflos die Schultern. »Auf dem Landeplatz steht ein Mana für deine Heimreise bereit.«
»Ich … Was?«, stammelte ich perplex. Erst Cochas seltsame Reaktion, dann Moijo und die Krieger … Ich wusste überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf stand!
»Du weißt, dass es gewisse Spannungen zwischen Montania und den übrigen Staaten Cyprias, insbesondere Lijm und Jama, gibt«, bemühte sich Moijo um eine Erklärung, aber ich sah ihn sc hon gar nicht mehr an, sondern rückte unwillkürlich ein Stü ck näher an Cocha heran und erwartete aus irgendeinem Grund, dass er mir die Dinge erklärte. Der jedoch wandte sich von mir ab und maß meinen alten Lehrmeister mit möglichst wenig Ausdruck, was bei Cocha bedeutete, dass er seine Körpersprache auf unter null reduzierte – selbst Mikkokas verächtliche Mimik schien in dem schwarzen Loch zu verschwinden, in das er sich binnen eines Lidschlags verwandelte.
»Das weißt du doch, oder?«, versuchte Moijo meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Aber es gelang ihm nur bedingt. Außerdem wusste ich es wirklich nicht genau. Für Politik hatte ich mich nie interessiert. Erst Cocha hatte jüngst ein Minimum an gesellschaftspolitischem Interesse aus mir herausgekitzelt. Und nach dem ersten Schreck über die eine oder andere neue Erkenntnis war es mir ehrlich gesagt einigermaßen schwergefallen, immerzu aufmerksam bei der Sache zu bleiben, wenn er von den Paradieslosen und der
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