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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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rieselten von der Kalksteinfassade auf mich herab.
    Entsetzt taumelte ich zurück und landete geradewegs in den Armen eines grobschlächtigen Kriegers, der mich um den Preis, Moijo dabei endgültig von den Füßen zu reißen, auffing. Zwei weitere Männer halfen dem Alten wieder auf, während die Türen aufflogen und das Theater die Masse der Novizen und Lehrmeister auf die Straße erbrach.
    Dann brach das vollkommene Chaos aus. Dutzende – nein, Hunderte! – Menschen wälzten sich in heller Panik über Moijo, die Krieger und mich hinweg. Ich landete mit dem Gesicht voran auf dem Pflaster und spürte schmerzhafte Tritte in meinem Rücken, die mich geradezu in den feuchtkalten Stein hineinstanzten. In meinem Brustkorb knackte es mehrfach, und der Schmerz und das Gewicht all jener, die da auf mir herumtrampelten, gestalteten mir selbst die flachste Atmung zur unendlichen Qual. Ich begriff, dass ich ersticken würde, wenn es mir nicht gelang, mich aufzurichten, und griff in Panik nach irgendetwas, das sich nur irgendwo über mir befand. Es war eine Hand, aber sie zog mich nicht in die Höhe, sondern kam mir nur entgegen – zusammen mit einem Arm und dem Rest eines nicht eben zierlichen Novizenkörpers, der mir auf die Schultern krachte und für einen endlosen Moment schlaff und schwer auf mir liegen blieb. Nun bekam ich überhaupt keine Luft mehr, aber dafür trafen mich die Tritte nur noch in den Waden und Fußsohlen.
    Als sich der Junge endlich von mir herunterwälzte, bebte die Erde erneut, und dieses Mal war es noch schlimmer. Wie von einer unsichtbaren riesigen Faust getroffen, krümmte sich die S tadt unter gewaltigem Getöse nach innen. Straßen und Mauer n rissen auf, Dächer sackten in sich zusammen, Wände stürzten um. Glas splitterte und rieselte wie ein gefährlicher Diamantregen in die Straßen und Gassen. Zwei der Wehrtürme kippten um und katapultierten die Wachen, die auf ihnen patrouillierten, wie überdimensionale Wurfgeschosse davon.
    Von alldem sah ich natürlich nichts, denn abgesehen davon, dass ich mich nicht einmal auf Hände und Knie aufzurichten vermochte, hustete die ganze Stadt einen feinen weißen Staub, der Augen und Atemwege verklebte und meine Lungen in Brand zu setzen schien. Die Todesangst prügelte sämtliche Muskeln in meinem Leib noch einmal zu Höchstleistungen, und es gelang mir, mich irgendwie aufzurichten und zwei, drei Schritte durch den Staub zu stolpern, der mich wie ein trockener, fleischfressender Schwamm umfasste. Doch dann stürzte ich wieder – über irgendwas und irgendwohin, ich weiß es nicht. Die Welt bestand aus Staub, und ich glaubte zu spüren, wie auch ich mich in Staub verwandelte. Ich vermute, dass ich mir in den Sekunden, ehe ich das Bewusstsein verlor, ziemlich sicher war, dass ich jetzt sterben würde. Aber ich kann mich nicht entsinnen, woran ich damals angesichts des Todes gedacht habe. In meiner Erinnerung klafft ein Loch, und ich weiß nicht einmal, wie viel Zeit darin verschwunden ist.
    Das Nächste, was ich wahrnahm, waren sengende Hitze und beißender Qualm. Das Flammenspektakel im Theater!, dachte ich zunächst. Die Feuerwand musste versucht haben, sich vor Staub und herabkrachenden Steinen und Ziegeln in Sicherheit zu bringen, und sie war genauso weit gekommen wie ich, und nun hatte sie sich irgendwo verfangen und loderte keine zehn Schritte von mir entfernt in den Trümmern!
    Ein idiotischer Gedanke, ich weiß – tatsächlich waren an mehreren Stellen der Stadt Feuer ausgebrochen, als eine Unzahl von Gebäuden in sich zusammengefallen war und die Öllampen zersplittert waren, die in nahezu jedem Schülerhaus und auch an den Masten brannten, die die Straßen säumten. Aber immerhin ein Gedanke, was bedeutete, dass ich noch am Leben war, denn Tote denken nicht.
    Ich versuchte mich von dem Feuer wegzuwälzen. Aber ich hatte keine Chance. Irgendetwas lastete auf meinen Beinen, was ich erst realisierte, als ein stechender Schmerz durch meine Waden zuckte und in meine Wirbelsäule hinaufschoss, die sich anfühlte, als versuchte jemand, meine Bandscheiben auseinanderzuziehen wie einen Blasebalg. Ich schrie vor Schmerz und grenzenloser Angst und versuchte zu erkennen, was es war, das mich auf den Boden drückte. Aber alles, was ich mit dem Versuch, mich wenigstens ein Stück auf die Seite zu drehen, erreichte, war, dass sich zahllose Trümmerstücke und Splitter in mein Fleisch bohrten. Ich konnte mich kaum bewegen, der Staub verschleierte meinen

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