Das Mädchen aus dem Meer: Roman
geplanten Umwälzung der Verhältnisse sprach, und genug Engagement zu heucheln, um in seinem Ansehen nicht auf das Niveau eines Ektoparasiten zu sinken. Oft hörte ich ihm nur zu, weil ich seine Stimme so sehr liebte. Und in Hohenheim hatte ich meist überhaupt nicht zugehört, wenn die Erwachsenen im Großen Saal zusammengekommen waren, um über Import- und Exportbedingungen oder Wertangleichungen und Rohstoffressourcen zu schwafeln. Meist hatte ich auf den Stufen zum Thron herumgelungert, still und leise mit meinen Holzponys und Onyxgreifen gespielt und versucht, nicht daran zu denken, wie mein Vater meinen Bruder einst vom großen Kontinent nach Montania und wieder zurück geprügelt hatte.
Ja: Montania – das war der Ort, an dem ich Soras Rippen splittern zu hören geglaubt hatte. Montanisch war außerdem ein gängiges Schimpfwort im Senat, und wenn man jemanden nicht leiden konnte, dann wünschte man ihn dann und wann nach Montania – oder auch in den Eisgürtel des Saturns.
»Selbstverständlich weiß ich das«, antwortete ich darum so knapp wie hilflos.
»Dein Vater sieht deine Sicherheit in Silberfels gefährdet«, berichtete Moijo in hörbar auswendig gelernten Worten. »Er hat deine sofortige Rückkehr nach Hohenheim veranlasst, um dich vor den unlauteren Initiativen Faro Gormos von Montania zu schützen. Alles Weitere sollten wir draußen besprechen.«
Ich schüttelte energisch den Kopf und wich zurück, bis die Rücklehne der zweiten Sitzreihe meine symbolische Flucht bremste.
»Ich habe hier vier Krieger, die auf mich aufpassen!«, protestierte ich. »Und Cocha und ich werden schon morgen unsere Reise zu den Kerichellen antreten. Und ich habe hier … Ich muss … Es ist wichtig für meine Zukunft, dass ich hier lerne und meine Fähigkeiten in der Sprachkunde …«
»Jamachita«, fiel Moijo mir in einem Tonfall ins Wort, dem in früheren Zeiten wahlweise ellenlange Vorträge über Sinn und Zweck der Etikette oder tagelange Strafarbeiten gefolgt waren. »Ich bitte dich hier und jetzt im Namen deines Vaters, mit mir zu gehen. Und ich werde dich kein weiteres Mal bitten. Also komm und erspare dir eine Blamage, die man noch deinen Enkeln nachtragen wird«, fügte er deutlich leiser hinzu.
Enkel … Jetzt, wo er es sagte … Wieder suchte mein Blick den Cochas, und dieses Mal erwiderte er ihn sogar.
Ach ja. Jetzt, wo du es erwähnst: Ich … Also … Habt ihr eigentlich …
»Geh mit ihm«, bat Cocha mich mit ruhiger, warmer Stimme, wobei er mich so behutsam in Richtung der Treppe schob, dass ich es erst realisierte, als ich schon fast an Mikkoka vorbei war.
Ich trat ihr kraftvoll auf den Fuß und quetschte mich zwischen den Knien der Novizen im obersten Rang und den Lehnen des zweiten Ranges hindurch, wobei ich stolz die Nase rümpfte, den Kopf in den Nacken warf und …
… das Zeichen machte.
Ich konnte beinahe hören, wie Cocha innerlich aufschrie, aber das war mir in diesen Sekunden egal. Um nichts auf der Welt wollte ich mich einfach so aus meinem neuen Leben und all meinen Träumen reißen lassen, indem ich Silberfels – warum auch immer – den Rücken kehrte und vor allem Cocha verließ! Was auch immer in Hohenheim vorgefallen war, konnte nicht so tragisch sein, dass es es wert war, auch nur zwei oder drei Tage ohne Cocha zu sein. Ich wollte bleiben, und ich hoffte innigst, dass die Paradieslosen meinen Hilferuf verstanden und mich vor den Männern meines Vaters retteten.
Holt mich zu euch , jammerte ich im Stillen, während ich den kleinen Finger der rechten Hand nicht ganz so unauffällig abspreizte, wie es hätte sein sollen, und versteckt mich bei euch, bis mein Vater ein Einsehen findet!
Aber niemand erwiderte das geheime Zeichen, niemand sprang auf und stürzte sich auf die Krieger oder lenkte sie wenigstens ab, bis ich in den verwinkelten Gassen der Stadt verschwunden war. Tatsächlich ließ sich nicht einmal jemand anmerken, dass er die Geste erkannt hatte. Nicht einmal jene, von denen ich ganz genau wusste, dass sie dazugehörten!
Ich fühlte mich verraten und verlassen und stampfte wütend und verzweifelt an Moijos Seite ins Freie.
»Was soll das alles?«, keifte ich ihn an, kaum dass sich die schweren Türen des Theaters hinter uns geschlossen hatten und wir allein mit den Kriegern auf der menschenleeren Straße standen. Aus dem Inneren des riesigen Gebäudes drang dumpf eine festliche Melodie zu uns hinaus. Die Zeremonie schloss ungeachtet des Zwischenfalls mit einer
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