Das Mädchen aus dem Meer: Roman
anderes zu tun, als seiner ganz und gar fesselnden, dunklen Stimme zu lauschen, seine Wärme zu spüren und den süßen Schweiß auf seiner Haut zu riechen – und vielleicht, ganz vielleicht, würden wir die ganze Nacht miteinander verbringen; in seiner oder meiner Kajüte, wo das sanfte Auf und Ab des Manis unsere Körper wiegte und …
Danke, Chita. Ich glaube, mein Ei hat mich getreten.
Ach, Froh. Du bist ganz schön prüde, hat dir das schon mal jemand gesagt?
Cocha ahnte von meinen Plänen und Träumen jedenfalls nichts. Es sollte eine Überraschung werden, und dieses Mal sollte sie gelingen. An dem Abend, als die Entscheidung des Dekans im Theater verkündet wurde, saßen wir nebeneinander im obersten der stufenweise zur Bühne hin abfallenden, im Halbkreis angeordneten Ränge, ließen jeweils einen Arm zur Seite hin an der Hüfte vorbeihängen und hakten heimlich unsere kleinen Finger ineinander. Am Nachmittag waren Cocha, sein Lehrmeister und ein paar andere Navigationsnovizen auf der Rückseite der Hügel gewesen, wo sich der Große Fernschauer befand, durch den man bis zum Neptun und zum Uranus sehen konnte, und weil Cocha den Großen Fernschauer liebte und er gar nicht oft genug hindurchsehen und das warme Rot des Mars und das Azurblau des Neptun bestaunen konnte, war er ausgesprochen guter Stimmung. Ich natürlich auch – wenngleich aus einem anderen Grund. Ich war sogar so glücklich und voller freudiger Aufregung, dass ich mich nicht einmal daran störte, dass Mikkoka ihren akkabäischen Hintern einfach zu Cochas Linken platzierte, ohne sich auch nur der Höflichkeit halber zu erkundigen, ob der Sitz noch frei sei.
Die Bediensteten löschten die Fackeln und Lampen, und Cocha nutzte die Gunst des Augenblicks, um sich einen kleinen Kuss von mir zu stibitzen, ehe das Öl in der kupfernen Rinne hinter der Bühne entfacht wurde und die kontrollierten, annähernd zwei Meter hoch züngelnden Flammen den Saal wieder hell erleuchteten. Prompt schlug mir das vorher schon eilig pochende Herz bis zum Hals, denn es war das erste Mal gewesen, dass er mich auf den Mund geküsst hatte. Hätte die Feuerwand hinter der Bühne nicht alles in orangegelbes Licht getaucht, hätte wahrscheinlich selbst der Dekan, der die Erhöhung im Herzen des Theaters nun in Begleitung der wichtigsten Lehrmeister betrat, gesehen, wie ich purpurrot anlief.
Aber so blieben der Kuss und das Spiel unserer kleinen Finger unser süßes Geheimnis. Nur Cocha und ich wussten davon – und Mikkoka, der es aus nächster Nähe wohl nicht entgangen war, denn sie spuckte verächtlich aus und rümpfte geräuschvoll die Nase. Ich bedachte sie mit einem unehrlichen Lächeln, in dem sich mein Verständnis für ihre Eifersucht und meine darauf basierende Gnade vereinten, und sie rollte die Augen und wandte ihre Aufmerksamkeit demonstrativ dem Geschehen auf der Bühne zu.
Eine Handvoll Novizen in festlichen weißen Gewandungen spielte eine epische Melodie auf Flöten, Trommeln und einem Bronzezupfer. Der Dekan rasselte eine Hommage auf Crotzi, den Erfinder des Manis, herunter und gab das Wort dann an den ersten der mit ihm gekommenen Lehrmeister ab, der zwei seiner Novizen beglückwünschte, die sodann zu ihm eilten und ihre bewilligten Anträge freudenstrahlend in Empfang nahmen, während sich der Dekan diskret entfernte, um dem weiteren Verlauf der Prozedur als Zuschauer zu folgen oder sich heimlich ganz aus dem Staub zu machen. Ich wusste es nicht, aber ich fragte es mich auch nicht.
Meine Konzentration galt voll und ganz den Lehrmeistern, die nun nach und nach immer mehr Namen verlasen – bis endlich auch Cochas und meiner fielen.
Cocha ließ meinen Finger los und setzte sich kerzengerade auf.
»Ich habe mich überhaupt nicht beworben!«, flüsterte er und machte keinerlei Anstalten, sich von seinem Platz zu erheben.
» Ich habe dich angemeldet«, klärte ich ihn voller Stolz auf und versuchte, ihn mit mir zu ziehen, während ich mich aufgeregt von meinem Platz erhob. »Du und ich: Wir reisen mit zu den Kerichellen. Ist das nicht wunderbar?«
Cocha versteifte sich noch mehr und maß mich ungläubig. » Du hast mich angemeldet?«, vergewisserte er sich.
In dem Moment hätte ich schon wissen müssen, dass ich kopfüber in ein mächtiges Fettnäpfchen gesprungen war. Aber ich war so gefangen in meiner eigenen Freude, dass mich seine Reaktion nur darin bestätigte, dass meine Überraschung voll und ganz gelungen war.
»Ja«, strahlte ich darum
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