Das Mädchen aus der Pearl Street
mit Dean herumalbern können, und die Unterhaltung im Dreieck war nie versiegt. Jetzt aber wußten sie plötzlich alle beide nicht recht, was sie sagen sollten. Kitty überlegte einen Augenblick lang krampfhaft, und als ihr nichts einfiel, konzentrierte sie sich mit übertriebener Aufmerksamkeit auf das Auswickeln ihres Butterbrotes und ihres Milchbehälters.
„Vermißt du die Schule?“ fragte Piccolo schließlich. Die Frage klang ausgesprochen erzwungen. Es ging Piccolo also kaum besser als ihr.
„Noch nicht“, schleppte sie ihrerseits mühsam diese Unterhaltung weiter, „und du? Vielleicht kommt es im Herbst dazu?“
„Hm!“ Er nickte, und damit schien die Konversation bereits wieder erschöpft zu sein. Doch dann fand er, daß irgendein Gespräch, ganz gleich worüber, immer noch weniger peinlich sei als dies stumpfsinnige Einandergegenübersitzen, und so sagte er möglichst leichthin: „Ich habe heute deinen Bruder gesehen!“
„Meinen--Bruder?“
„Ja, Danny. Er hat sich für Basketball in unserem Drama-Klub eintragen lassen.“
„Basketball und--, ja, wo denn in aller Welt? Wovon redest
du?“
„Nun, vom Gemeindehaus. Cy platzt bald aus seinen Knöpfen, so geschwollen ist er vor Stolz, wieder ein neues Küken für sein Nest erobert zu haben!“
Kitty konnte nicht verhindern, daß ihr Kinn herunterklappte. „Du kennst -— Cy?“
„Natürlich! Ich arbeite doch auch im Gemeindehaus mit.“ Beinahe wäre ihr der Bissen aus dem Munde gefallen. Sie lehnte sich zurück und starrte ihn sprachlos an.
„Ich bin dort als John Barrymore Boswell bekannt“, lächelte er und wurde seiner selbst zusehends sicherer, „ich leite den Drama-Klub. Zwei Nachmittage und zwei Abende pro Woche. Das ist der Grund, warum ich zweimal abends hier um zwei Minuten vor zehn mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz brause und wie Nurmi durchs Tor geflitzt komme.“
„Aber--aber du hast davon doch nie etwas gesagt?“
Kitty konnte mit dieser Neuigkeit so schnell nicht fertig werden. Er wurde rot.
„Nun, ich glaube nicht, daß dieses Thema je zuvor zwischen uns erörtert wurde.“
Dann - dann weißt du natürlich sehr viel über die Familie Boscz“, zog sie den Schluß. Es klang wie eine Anschuldigung.
„Oh, dies und das“, gab er leichthin zurück, „stört es dich?“
Sie musterte sehr nachdenklich sein Gesicht. Piccolo war eigentlich immer freundlich, und schon in der Schule war ihr aufgefallen, daß sein Humor niemals auf Kosten anderer ging.
„Nein“, entschied sie schließlich, und sie begann, Piccolo in einem ganz anderen Lichte zu sehen als bisher. Was mochte er wohl unter seiner burschikosen, witzigen Lässigkeit verbergen?
„Ich wußte nicht, daß du dich für Dramen interessierst“, regte nun sie ein weiteres Gespräch an.
„Na, mein liebes Kind!“ warf er zurück und entspannte sich merklich, worauf er auch gleich wieder witzeln konnte. „Ich war doch der große Schlager unserer Schauspielklasse in der Schule! Zwar eigne ich mich wohl nie für die Rolle des strahlenden, lanzen- und herzenbrechenden Helden, aber glaub mir, es ist schwerer, den zweiten oder gar den Gegenspieler erfolgreich darzustellen.“
„Du--meinst das alles im Ernst?“
„Ja“, bekannte er, und Kitty merkte, daß er nun absolut nicht mehr scherzte.
„Für mich ist die darstellende Kunst das Reizvollste und Interessanteste, ja das Allerschönste auf der Welt. Ab Herbst werde ich auf die Schauspielschule gehen.“
„Das--nun, Piccolo, das ist ja wundervoll“, beglückwünschte sie ihn, aber sie staunte noch immer. „Und deine Eltern? Haben sie nichts dagegen? Ich nahm als selbstverständlich an, daß du auf die Universität müßtest.“
Er schüttelte den Kopf.
„Wir hatten deshalb Familienkrieg seit meinen Kindergartentagen, seit ich in einem Osterspiel als Hase aufgetreten war. Ich wußte bereits damals, daß ich nichts anderes als Schauspieler werden wollte, aber meine Eltern hatten ebenso unumstößlich ihre eigenen, und zwar ganz anderen Zukunftspläne für mich.
Wir lebten und kämpften also fortan in zwei Lagern. Nun, mittlerweile habe ich einen kleinen Bruder bekommen, der für Vater die Fahne auf der Yale-Uni hochhalten wird, und so haben es meine Eltern endlich aufgegeben und lassen es zu, daß einer ihrer Söhne unter die Räuber fällt.“
„Wird man ohne weiteres bei einer Schauspielschule angenommen?“
„Nein, Kitty. Leider fühlen sich allzu viele dazu berufen, und darum wird
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