Das Mädchen aus der Pearl Street
wie meist, lächelte; es wirkte sehr reif, sehr erwachsen, aber auch ein wenig müde.
„Du glaubst wohl, du hättest allein ein, wenn auch negatives, Interesse an der Pearl Street? Besitzt du ein Monopol? Jeder in unserer Stadt kennt diese Straße, viele machen sich Gedanken darüber, aber jedem mißfällt sie. In sechs oder sieben Jahren wird sie hoffentlich nicht mehr existieren.“
Die Klingel schrillte, und Kitty merkte, daß wieder einmal die Zeit mit unglaublicher Geschwindigkeit vorbeigeglitten war.
Vielen Dank, Piccolo“, murmelte sie.
„Wofür?“
„Ach, nur danke schön, das ist alles!“
„Das Wechselgeld kannst du behalten“, ulkte er und war nun wieder der alte Piccolo, über den jeder gern lachte. Aber nachdem sie ihn heute zum erstenmal so ganz anders erlebt hatte, wurde ihr klar, daß sein Clownsgesicht nur eine Maske war - - vielleicht sogar ein Schutzpanzer für den Menschen, der er wirklich war. Mit einem kleinen Lächeln winkte sie ihm zu und verschwand dann hinter ihren Maschinen.
Sie war noch immer richtig gefesselt von dem Gespräch mit Piccolo Boswell. Auch daß Danny heute nachmittag dem Gemeindehausklub beigetreten war, beschäftigte ihre Gedanken für die nächsten Stunden. Es war eigenartig, wie oft und wie stetig in letzter Zeit dieses Gemeindehaus sich ihr immer wieder bemerkbar machte. Konnte die Familie Boscz seinem Einfluß einfach nicht mehr entrinnen? Es war wie ein Netz, das sie in seinen Schlingen zu fangen trachtete, bis dann schließlich Cy Whitney sie alle geschickt mit seinem geübten Griff an sein Ufer ziehen konnte.
7. KAPITEL
Den ganzen Samstag wanderte Kitty in einer geradezu ekstatischen Vorfreude umher. Ihr Kleid für den Abend hing frisch aufgebügelt an der Wand, genau ihrem Bett gegenüber, so daß sie es jeden Morgen vor dem Einschlafen betrachten und wunderschöne Träume daran knüpfen konnte. Es war aus feinem, weiß und rosa gestreiftem Batist, hatte Puffärmel, eine betont enge, sehr zierliche Taille und einen duftigen, weit schwingenden Rock. Sie sah darin aus wie eine Prinzessin. Zumindest fand Mutter das, und Danny hatte sich dieser Feststellung mit Begeisterung angeschlossen.
Gleich nachdem das Abendgeschirr abgewaschen war, begann sie sich anzuziehen. Es ging ihr fast auf die Nerven, wie Mutter an ihr herumzupfte, den Kragen zurechtzog und die Falten glattstrich und sie dabei immer wieder mit zärtlichem Stolz betrachtete. Danny hatte gar einen ausgesprochen andächtigen Ausdruck im Gesicht, als er sie in ihrem Staat bewundern durfte. Er benahm sich plötzlich ihr gegenüber so höflich, daß sie sich im eigenen Haus als Fremde zu fühlen begann. Schaut, wollte sie sagen, ich bin doch trotz allem noch eure alte Kitty, aber dann schwieg sie, denn irgendwie fühlte sie selbst sich verwandelt. Sie war nicht mehr die schlichte und alltägliche Kitty Boscz, sondern das Mädchen, mit dem Dean Tracy heute eine Verabredung hatte, und sie konnte kaum erwarten, bis er endlich erschien.
Pünktlich um ein Viertel nach acht Uhr fuhr er im Kabriolett seines Vaters vor. In dem blütenweißen Oberhemd und dem hellen, eleganten Gabardineanzug sah er aus wie ein Filmschauspieler. Außer im Kino hatte Kitty noch niemanden gesehen, der derart vollendet gut aussah, und sie hoffte im stillen, daß die Dobbs und die Bianchis drüben nicht etwa ausnahmsweise heute von ihrer Gewohnheit abließen, sondern wie üblich neugierig hinter den Gardinen standen und nach Stoff für den Nachbarschaftsklatsch Ausschau hielten.
,Mutter, ich möchte dir Dean Tracy vorstellen“, sagte sie förmlich, denn sie hatte nicht umsonst eine volle Stunde am Nachmittag in der Stadtbibliothek verbracht und studiert, was Herren wie Knigge und seine Jünger über die verschiedenen Methoden, Menschen miteinander bekannt zu machen, zu sagen hatten.
„Dean, dies ist meine Mutter und mein jüngerer Bruder Danny“, fügte sie genau nach Vorschrift hinzu.
Alle murmelten irgend etwas zu gleicher Zeit, Mutter errötete, und Kitty, die ihren Danny kannte, beeilte sich — bevor dieser wie üblich vor Verlegenheit in der Nase zu bohren begann —, Dean mit sanfter Gewalt zum Wagen zurückzulenken.
„Ich glaube, wir gehen am besten gleich“, sagte sie und wandte sich dann noch einmal um. „Ihr braucht nicht auf mich zu warten“, rief sie großartig zurück und genoß dann in vollen Zügen, vor aller Augen am Arm von Dean Tracy zu entschweben.
„Wie reizend Sie aussehen“, stellte
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