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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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Augenblick noch anrufen können, die sehr viel darum gegeben hätten, von einem Dean Tracy ausgeführt zu werden und nur zu gern irgendwelche anderen Verabredungen abgesagt hätten! Aber Dean hatte es nicht getan. Vielleicht — ihretwegen? Ein heißes Glücksgefühl wallte in ihr auf.
    „Sprechen Sie weiter!“ bat sie, denn solange Cy redete, konnte sie ungestört ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Doch ihre Augen strahlten so glücklich, daß er ihren Blick verfolgte.
    „Welcher der vier ist denn der große Schwarm?“ fragte er trocken.
    „Der Dunkle“, gab sie übereifrig Auskunft, „er heißt Dean Tracy.“
    „Aha! Sind Sie schon so weit befreundet, daß Sie miteinander ausgehen?“
    Sie nickte.
    „Nächsten Samstag!“
    Man sah an ihrer Halsschlagader deutlich, wie ihr Herz klopfte.
    Er lächelte über ihre Begeisterung und schüttelte den Kopf.
    „Ich wette, daß dies nicht den Sommer überdauern wird.“
    Heißer Zorn flackerte in ihren Augen auf.
    „Wie können Sie so etwas behaupten? Denken Sie das etwa, weil Dean aus der Terrassenstraße stammt?“
    „Sehen Sie, Kitty, nun hab’ ich Sie gleich wieder erwischt. Sind Sie sich eigentlich darüber klar, was für ein riesengroßer Snob Sie sind?“
    „Ich? Ein Snob?“
    „Jawohl. Die Wohngegend eines Menschen ist für Sie das einzig Wichtige geworden. Ich hatte mit keiner Silbe darauf anspielen wollen, als ich meine kleine Vorhersage machte. Ich wollte lediglich feststellen, daß ich diesen jungen Mann nicht für Ihren Typ halte.“
    „Sie glauben wohl, Sie wissen alles--absolut alles?“ schnaufte sie.
    „Nicht alles, Kitty. Aber ich verstehe mich ein klein wenig auf die Natur des Menschen. Es wird nicht lange dauern, bis er Sie langweilen wird. Sie wissen jetzt schon zweimal soviel vom Leben wie er, und ich wage sogar zu vermuten, daß er noch weniger Selbstsicherheit besitzt als Sie, obgleich er im elegantesten Viertel unserer Stadt zu Hause ist. Er hat nicht das geringste Einfühlungsvermögen
    „Wie bitte?“
    „Einfühlungsvermögen! Ich meine damit die Fähigkeit, sich in die Haut eines anderen hineinzuversetzen, zu fühlen und zu ahnen, was den Menschen neben ihm erfüllt und bewegt.“
    „Nun, das wird sich finden; lassen Sie sich meinetwegen keine grauen Haare wachsen!“ setzte Kitty trotzig den Schlußpunkt hinter die Unterhaltung, suchte quer durchs Lokal Deans Blick und lächelte und winkte ihm zu.
    „Gut geübt“, spottete Cy.
    „Ich finde Sie ausgesprochen grob“, sagte sie ihm ins Gesicht.
    „Ich bin mir dessen voll bewußt. Und jetzt, nachdem Sie mich Ihrem Verehrer vorgeführt haben — — können wir gehen?“
     

6. KAPITEL
     
     
    Am nächsten Tag wurde die Hitzewelle von einem so starken Gewitter gebrochen, daß die Pearl Street unter Wasser stand. Um fünf Uhr sah es aus, als hätten die blauschwarzen Wolken am Horizont Tinte über den ganzen Himmel gespien. Weißglühende Blitze durchschnitten diese Finsternis in so kurzen Abständen, daß einem noch der Donner des einen den Atem nahm, wenn der nächste schon wieder die Augen blendete. Doch mit dem sich ständig steigernden Krachen des Donners wurde der Wind schwächer, und nun zeigte sich, was der Wettergott für die Stadt in diese drohend schwarzen Wolkensäcke gepackt hatte.
    „Es hagelt!“ schrie Danny vom Fenster her, „Kitty, komm schnell und schau! Die Hagelkörner sind groß wie Pflaumen!“
    „Ich wünschte, Thomas wäre daheim“, seufzte Mutter, die gerade im Bademantel die Treppe herunterkam.
    „Die Straße bei der Unterführung wird bestimmt wieder unter Wasser stehen, Kitty“, vermutete Danny mit unverhohlener Offenheit, „dann kannst du nicht zur Arbeit gehen.“
    „Ich werde schon irgendwie durchkommen, verlaß dich drauf“, sagte sie. Danny tat ihr leid, denn heute hatte er einen seiner wenigen freien Abende. Seinen Samstag hatte er bereits geopfert, um ihr beim Enteisen des Kühlschrankes zu helfen, das Haus zu putzen und die Lebensmittel für die kommende Woche heimzuschleppen. Er liebte diese Pflichten ebensowenig wie Thomas, aber Danny war anders als der Bruder. Sein Gewissen ließ es nicht zu, daß er seinem Vergnügen nachging, solange die Schwester nicht wußte, wie und wann sie die Hausarbeit für die Familie bewältigen sollte. Kitty war sich klar darüber, daß er für sein Alter überlastet war. Buben wie er hatten es noch nötig, ganze Nachmittage lang mit ihren Gefährten herumzutollen. Aber - abgesehen von allem andern

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