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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
    „Hallo!“
    Im Fenster neben dem Führersitz erschien Deans Kopf.
    „Wir sind die Feuerwehr und kommen zu Ihrer Rettung“, rief er.
    Hätte sie doch bloß das Verandalicht nicht angeschaltet! So aber mußte Dean bereits die halbverfaulte Holzstufe gesehen haben, die von der kompromißlosen Grelle der einzigen aus ihrer Fassung baumelnden Birne unbarmherzig zur Schau gestellt wurde. Wie ein kleines Kind hätte sie losheulen mögen vor Ärger und Scham und Enttäuschung. Statt dessen mußte sie gar noch so tun, als ob sie sich freue. Sie zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht und rief: „Welch charmante Ritter!“ Tapfer begann sie, durch das schmierige Wasser hindurchzuwaten.
    „Ein tolles Gewitter!“ sagte Dean und hielt ihr den Schlag auf.
    „Ja, sehr... Wie habt ihr denn herausgefunden, wo ich wohne?“
    Ein vorwurfsvoller Blick traf Piccolo. Sie haßte ihn geradezu in diesem Augenblick, denn natürlich konnte nur er ihr Geheimnis ausgeplaudert haben. Aber sie ahnte nicht, daß sie sich irrte.
    „Ich wollte Sie anrufen, aber da Sie anscheinend kein Telefon haben, schaute ich schließlich im Adreßbuch nach. Da stand eindeutig: Esther Boscz, Kinder: Thomas, Daniel, Katherine, Nr. 9, Pearl Street--, nun, und hier sind wir!“
    Kitty tat im stillen bei Piccolo schnell Abbitte und preßte ein „Schönen Dank, das war sehr freundlich“ hervor. Gut, daß man nicht sehen konnte, wie es in ihr drinnen aussah.
    Nun wußte Dean es also. Wie würde er es wohl drehen, die Verabredung für Samstag rückgängig zu machen, denn für Kitty gab es natürlich keinen Zweifel, daß er sich mit einem Mädchen aus der Pearl Street nicht im Ruderklubhaus sehen lassen konnte. Wenn er nur irgendeine halbwegs glaubwürdige Entschuldigung finden möchte, betete sie leise, irgend etwas, daß sie sich selbst einreden konnte, er meine es trotz allem ernst mit ihr. Sowohl Piccolo als auch Dean zeigten sich heute abend sehr schweigsam. Nun, es war nicht schwer zu erraten, was die beiden dachten.
    Eine Hand berührte die ihre und schlüpfte sofort wieder weg. Heimlich und ein wenig zögernd tastete sie sich dann gleich wieder in die Nähe der ihren, und dann fühlte Kitty, wie sich Deans Finger fest um die ihren schlossen.
    „Hat Ihnen die Katze die Zunge weggenascht?“ neckte er.
    „Oh — nein“, hauchte sie und spürte, daß ihre Augen feucht wurden.
    Dean hielt ihre Hand! Vielleicht störte es ihn nicht, daß sie aus der Pearl Street stammte? Er hielt ihre Hand! Die Tränen rannen ihr übers Gesicht, bis sie sie salzig auf den Lippen schmeckte und nach ihrem Taschentuch suchen mußte.
    „Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich, „mir ist etwas ins Auge geflogen.“
    „Soll ich halten?“ fragte Piccolo in einem ungewohnt harten Ton. Es waren die ersten Worte, die er heute abend von sich gab.
    „O nein, es ist schon heraus. Alles ist wieder gut“, beeilte Kitty sich zu versichern, „vielen Dank.“
    Im Dunkeln fand Deans Hand gleich darauf wiederum die ihre und drückte sie.—
     
    Am Dienstagabend fehlte Dean in der Schlange, die vor der Kontrolluhr anstand. Vier Stunden lang arbeitete Kitty und grübelte darüber nach. Sie konnte kaum die Pause erwarten, und als endlich die Glocke schrillte, rannte sie wie gehetzt in die Kantine.
    Piccolo saß allein am Tisch. Verdammt, kam es ihr hoch, verdammt, verdammt, verdammt! Wie ein Messer schnitt ihr die Eifersucht ins Herz bei dem Gedanken an alle die möglichen Gründe, die einen Dean Tracy von der Arbeit fernhalten konnten: eine Tanzerei, eine Party, Konzertbesuch mit der Familie? Sie mußte sich sehr zusammennehmen, um gleichgültig zu erscheinen, während sie nach ihrer Milch anstand, und als sie dann Piccolo begrüßen mußte, rief sie übertrieben heiter:
    „Servus, Piccolo! Es sieht aus, als müßten wir heute nacht allein speisen!“
    „Seine Hoheit haben Halsschmerzen“, gab Piccolo Auskunft. „Nimm Platz! Die Varieté-Vorführung wird in fünf Minuten beginnen!“
    „Fünfzig schöne Bauchtänzerinnen?“ versuchte Kitty mitzuwitzeln.
    „Oh, das ist das mindeste“, versicherte er, und beide lachten, denn die wenigen Frauen, die in der Nachtschicht arbeiteten, waren allesamt plump und längst mindestens Mitte Vierzig. Aber dann fühlte Kitty sich plötzlich merkwürdig schüchtern. Es war zum ersten Mal, daß sie mit Piccolo allein hier saß, und das änderte ihr Verhältnis zueinander außerordentlich. Sonst hatte er

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