Das Mädchen aus der Pearl Street
lernen mußte, ihm Vertrauen zu schenken, und daß er ihr Vertrauen bereits jetzt verdiente.
„Ich habe herausgefunden, daß ich Dean doch nicht so mag, wie ich dachte“, gestand sie ihm.
Thomas lehnte sich erstaunt zurück. „Dean? Wir sprechen von Dean Tracy, habe ich recht? Dem geschniegelten Adonis von der Terrassenstraße, der wie ein Filmstar aussieht? Ich habe ihn für das Licht deines Lebens gehalten. Und nun---? Das kann ich nicht glauben!“
„Es ist aber wahr“, bekräftigte sie. „Ich habe mir Mühe gegeben, oh, wie habe ich mich angestrengt! Aber es war, als suche man sich jemanden zum Liebhaben aus dem Telefonbuch heraus. Als die erste freudige Erregung über meine ‚Eroberung’ und über die erste Verabredung vorbei war, wurde mir klar, daß uns absolut nichts bindet, wir nichts Gemeinsames haben. Es nimmt einen reichlich mit, wenn man das erkennen muß.“
„Das ist also das Ende des Märchens! Arme Kitty!“ Es klang, als täte sie ihm wirklich leid.
„Und das allerschlimmste ist“, brach es nun aus Kitty heraus, „das allerschlimmste ist, daß ich mich inzwischen wirklich richtig verliebt habe. In Piccolo Boswell!“
„Boswell!“ wiederholte Thomas, „du meinst Johnny Boswell, der uns neulich bei der Suche nach Danny geholfen hat?“ Ein Lächeln erwärmte sein Gesicht. „Meinst du wirklich den, Kitty? Dein Geschmack ist also doch recht gut. Ihn mag ich auch. Weiß er übrigens ...?“
„Himmel, nein!“ Sie hob abwehrend die Hände, „und er erfährt es hoffentlich auch niemals!“
„Ich danke dir, daß du es mir anvertraut hast“, sagte er herzlich. „Übrigens“, knüpfte er zögernd an, „weißt du eigentlich, warum Cy Whitney kürzlich hier bei mir war?“
„Nein.“
„Es ist--hm, ich weiß nicht, wie du dich dazu stellen wirst, aber —, nun, ich habe mich entschlossen, auf die Schule zurückzugehen und meinen High School-Abschluß zu machen!“
„Thomas, wahrhaftig?“ rief sie aus. Sie nahm ihr Glas und setzte sich zu ihm auf die Couch. „Wirklich, Thomas?“
Er nickte. „Ja. Ich weiß nicht, ob Cy durch mich hindurchschauen konnte, aber er hat mich an der rechten Stelle im rechten Augenblick angepackt. Er ließ mir nicht einmal Zeit, mich nach der Schlägerei abzukühlen. Um sieben Uhr früh war er zur Stelle--ein ganzer Kerl, glaub mir!“
„Ich glaube es dir“, stimmte sie zu.
„,Nun‘, sagte Cy, ,Sie hatten einen Tag Bedenkzeit, und Sie sind fertig mit den „Dämonen“, das wissen Sie so gut wie ich. Beim bloßen Gedanken an sie kommt Ihnen die Wut hoch, nach dem, was diese Burschen Ihrem kleinen Bruder angetan haben. Es ist also Zeit, daß wir Pläne machen..— ,Pläne?‘ wiederholte ich erstaunt. ,Jawohl, Pläne’, fuhr Whitney fort, ,brauen Sie einen Kaffee, und wachen Sie vollends auf, damit wir uns unterhalten können. Ein Treffen zwischen Ihnen und mir ist längst fällig. Sie wissen, was für ein Narr Sie waren, und mir ist es auch klar, also können wir gleich ans Geschäftliche heran-gehen.’ “
Thomas holte erst einmal tief Luft, ehe er weitersprach. In seiner Stimme klang jetzt eine Mischung von Ungläubigkeit und Bewunderung mit:
„Kannst du das verstehen, Kitty? Er wußte genau, was ich in meinem allertiefsten Innern gedacht habe! Was ich fühlte! Und sogar das, was ich mir selbst nicht hatte eingestehen wollen. Das Tollste aber, Kitty, stell dir nur so etwas vor: er sagte mir auf den Kopf zu: ,Wie lange schon würden Sie das Letzte gegeben haben, um Arzt werden zu können, Thomas Boscz?“ Ganz einfach so sagte er das ...“
Er schwieg, und auch Kitty mußte erst ein paarmal schlucken, ehe sie leise fragen konnte: „Und seit wann ist es, daß du um alles in der Welt Arzt werden möchtest?“
„Ich weiß es selbst nicht ganz genau, seit Jahren, seit vielen Jahren. Das einzige, woran ich mich genau erinnere, sind die medizinischen Werke, die wir einmal in der Mülltonne gefunden haben, weißt du es noch? Diese eindrucksvollen Abbildungen von Muskeln und Knochen und Herzen und Nieren? Entsinnst du dich, wie ich sie überall an die Wände meines Zimmers geklebt habe?“
Kitty erinnerte sich dunkel daran. Diese Bilder gehörten in jene Zeiten, da man im Sommer barfuß lief, um Schuhe zu sparen, und da die drei Boscz-Kinder mit Begeisterung Schmetterlinge und Schnecken und Kaulquappen fingen. Aber Thomas ging nichts über seine Bilder; wie oft hatten sie ihn gehänselt wegen seiner Zimmerdekorationen! Und wie oft hatte
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