Das Mädchen aus der Pearl Street
vielleicht bedeutet es ihr etwas, davon träumen zu können“, gab Thomas zu bedenken.
Kittys Blick spie Feuer. „Was ist denn los mit euch allen?“ forschte sie; „ich tue alles, um dieser Familie hier herauszuhelfen, ehe jedem von uns die Gurgel durchgeschnitten wird. Und ihr? Sicher, diese Bruchbude hier bietet drei Schlafräume und außerdem das, was ihr als Garten bezeichnet; aber habt ihr in den letzten zehn Jahren euch einmal euer Zuhause näher betrachtet? Die Miete ist nicht fünfundzwanzig Dollar niedrig, weil der Hausbesitzer eine so menschenfreundliche Ader hat. Die Installation in Bad und Küche ist so altmodisch und primitiv, wie man sie sonst nur in Karikaturen findet, und die Heizung bricht vor Altersschwäche jeden Winter mindestens einmal zusammen, ganz abgesehen von der angefaulten Veranda und den Löchern im Dach.“
„Trotzdem haben wir reichlich Platz, und schließlich wohnen wir so lange hier, wie wir uns erinnern können. Weshalb die Eile?“
Kitty verschlug es den Atem. „Weil“, schäumte sie dann über, „weil unser kleiner Bruder von Ausgeburten dieser verdammten Straße beinahe totgeschlagen wurde; ist das etwa nicht genug?“
„Es wird nicht noch einmal vorkommen“, dämpfte Thomas.
„Kannst du das vielleicht garantieren?“ schnaubte Kitty.
„Kitty“, mischte sich Danny ruhig in die Aufregung, „nun werde nicht hysterisch! Ich werde wegen Pussy Putnam nicht gleich ausziehen, und ebensowenig kann er mich vom Gemeindehaus fernhalten. Thomas und ich, wir können zusammen die Gefahr schon bestehen.“
„So, könnt ihr das?“ Kitty fühlte sich unverstanden.
„Ja“, bestätigte Thomas fest.
„Ich kann euch alle nicht verstehen“, seufzte Kitty enttäuscht, „seit Jahren schwärmt ihr davon, wie herrlich es sein wird, wenn wir eines Tages hier herauskommen; nicht nur einer von euch hat das gehofft, sondern ihr alle, und auch nicht einmal, sondern immer wieder; — und nun?“
„Wir könnten abstimmen“, schlug Thomas achselzuckend vor.
„Schön“, nickte Kitty resigniert. „Mam, du hättest gern eine neue Behausung, gelt? Nette Nachbarn, eine hübsche Straße, Komfort, Sauberkeit, wenig Mühe damit...?“
„Ein Haus, ja“, entschied Mutter energisch.
„Ganze Häuser sind zu teuer, Mam.“
Mutter biß die Lippen zusammen wie ein eigensinniges Kind.
„Dann — ist meine Stimme ,nein‘!“
„Aber Mam---“
„Sie hat ,nein‘ gestimmt“, notierte Thomas mit einem amüsierten Lächeln. „Sie will ihren Garten.“
Kitty seufzte. „Und du, Thomas?“
„Ich stimme fürs Hierbleiben. Ich wohne gern möglichst nahe beim Gemeindehaus.“
„Danny?“
Danny schüttelte bockig den Kopf: „Nnnein!“
Kitty sah so niedergeschmettert aus, daß Thomas sich zu ihr hinüberneigte und tröstete: „Vielleicht nächstes Jahr, Kittylein. Jetzt würde ein Umzug für Danny einer feigen Flucht gleichkommen; ich persönlich habe derzeit keinerlei Sehnsucht, vornehme Nachbarn zu haben; und Mam — nun, wir wollen ihr ein paar Tüten Blumensamen spendieren und einen Garten für sie anlegen. Vielleicht hat sie dann bis nächstes Jahr ihren bunten Traum genug genossen und ist bereit, mit ,ja‘ zu stimmen, wenn es ans Ausziehen geht.“
Kitty fühlte sich noch immer unverstanden und konnte die Beweggründe der andern absolut nicht begreifen.
„Ich hatte geglaubt, wir alle hätten keinen sehnlicheren Wunsch, als dieses Loch hier zu verlassen.“
„Und du? Hast du keinen besseren Vorschlag?“
Kitty überlegte. „Ich weiß nicht recht; vermutlich gibt es wesentlichere Dinge im Leben. Glücklichsein zum Beispiel.“ Sie schaute sich im Raum um, aber der Anblick der immer mehr zerschleißenden Haferschleimtapete, des eingebeulten Plüschsofas und der Löcher im Linoleumbelag ließ sie von neuem zweifeln.
„Es ist ein gar so abscheuliches Haus“, kritisierte sie leidenschaftlich, „schaut es euch doch an.“
„Wir haben es ja schließlich nur gemietet“, verteidigte sich Mutter wie üblich.
„Wozu gutes Geld an schlechte Dinge hängen“, echote Danny. Thomas schaute Kitty an und dann Mutter.
„Kitty hat recht, Mama“, nahm er die Partei der Schwester, „die Tatsache, daß man nicht der Eigentümer ist, kann die Verkommenheit unserer Burg nicht entschuldigen. Es ist wirklich abscheulich hier.“
„Nun, nun“, beschwichtigte Mutter, „bei uns sieht es nicht schlimmer aus als bei den Nachbarn.“
„Warum soll es aber bei uns nicht besser sein?
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