Das Mädchen aus der Pearl Street
es ihm nicht allzu leicht machen. Er soll erst einmal die Schule fertigmachen. Aber ich glaube sicher, daß er danach aufs College geben und Medizin studieren wird.“
„Aber das ist unmöglich“, ereiferte sich Kitty, „gut, daß Sie ihm keine solchen Flausen in den Kopf gesetzt haben; er könnte es kaum ertragen, jetzt darauf zu hoffen und dann wieder enttäuscht zu werden. Ein Medizinstudium kostet viel zuviel Zeit und Geld für einen Jungen wie Thomas, selbst wenn er nebenbei noch arbeiten könnte.“
Cy schüttelte den Kopf. „Sie verstehen mich nicht ganz“, widersprach er, „in einer Stadt wie der unseren —, hm, wie soll ich mich ausdrücken? Nun, in Fairfield gibt es eine bestimmte Gruppe wohlhabender Geschäftsleute, die das Bedürfnis haben, finanziell weniger Begünstigten zu helfen. Meistens tun sie es anonym. Ich kenne einen Mann, der gerade in diesem Jahr drei begabte junge Burschen aufs College geschickt hat. Außerdem haben wir Organisationen und Clubs, die hin und wieder sich zusammentun und einem Studenten den Weg ebnen, vorausgesetzt, daß dieser solcher Hilfe wirklich wert ist.“
Kittys Augen weiteten sich.
„Sie meinen, er bekäme alles umsonst?“
„Wenn er gute Zeugnisse in der High School erreicht, wenn er durchhält und sich auch außerhalb der Schule einen tadellosen Ruf verdient, dann kann ich schon jetzt beinahe garantieren, daß ihm geholfen wird.“
„O Cy! Wir müssen ihm das sagen!“
Cy schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Kitty. Ich kann es nicht, und auch Sie dürfen es nicht tun. Ich schulde es jenen hilfsbereiten Menschen, daß ich mir erst ganz sicher darüber werde, was Thomas aus sich selbst machen will, auch wenn er einstweilen seine Zukunft als kleiner Angestellter eines Laboratoriums sieht. Er muß zuerst uns allen und sich selbst beweisen, was in ihm steckt, ehe ich ihn für ein Stipendium vorschlagen kann. Wir dürfen nicht vergessen, Kitty, daß Thomas vor knapp einem Monat noch als angehender Krimineller bekannt war. Er hatte die Schule aufgegeben, drückte sich vor jeder anständigen, ehrlichen Arbeit, trieb sich mit Elementen von Nr. 211 herum und war möglicherweise gar ein Mitglied der ^Dämonen*. Wir müssen nun erst sehen, ob ihm wirklich ernsthaft und auf die Dauer daran gelegen ist, sich zu bessern.“
„Das klingt nach einem sehr schlechten Leumund“, gab Kitty zu, „wie können Sie daher annehmen, daß irgend jemand einem solchen Burschen wirklich helfen möchte?“
Cy lächelte matt. „Wenn man der Leiter eines Gemeindehauses ist, dann bringt das von selbst gewisse Möglichkeiten mit sich. Ich benutzte meinen Einfluß zum Beispiel dazu, vom Direktor eurer High School einige wesentliche Erkundigungen einzuziehen. Ich bin nicht der erste, der trotz allem an das Gute in Thomas glaubt oder es zumindest versucht. In gewissen Fächern leistete er Erstaunliches. Aber auf einem seiner Zeugnisse stand außerdem: Thomas Boscz ist intelligent, aber unausgeglichen. Dieses Wörtchen ,unausgeglichen’ müssen wir mit gutem Gewissen aus seiner Beurteilung streichen können, ehe wir ihm weiterhelfen.“
„Ich verstehe.“
„Zuviel Intelligenz kann zum Hindernis werden“, führte Cy bedauernd aus, „Thomas hat bisher noch nie Gelegenheit gehabt, seine überdurchschnittlichen Möglichkeiten voll einzusetzen und auszunutzen. Er hat niemals gelernt, wirklich zu schuften. Sein gefährlichster Feind war nicht seine Umgebung, sondern er selbst. Er erfaßt in wenigen Minuten, was uns anderen Stunden intensiver Konzentration kostet, und darum hat die Schule ihn wohl so gelangweilt. Er ist wie ein Riese, der unter Bedingungen leben muß, die kleinen Leuten angepaßt sind. In seiner Bedrängnis versucht er alles, um über diese Enge hinwegzustreben und zu entfliehen, auch wenn er bei diesem Vorgang sein eigenes Opfer wird.“
„Ja“, stimmte Kitty eifrig zu, „das paßt genau auf unsern Thomas.“
„Es geht vielen jungen Menschen so, die begabt sind und ihre geistigen Anlagen nicht ausnutzen können. — Haben Sie also etwas dagegen“, zog er mit einem Lächeln den Schluß, „wenn ich Ihnen sage, daß Sie vermutlich noch sehr lange auf finanzielle Zuwendungen von Thomas warten müssen?“
„Dr. Boscz!“ malte Kitty sich aus, „Dr. med. Thomas Boscz! O Cy, ich wünschte, er dürfte es jetzt schon wissen!“
„Wenn er es erfährt, ist der Bart ab“, warnte Cy mit fast brutaler Schärfe; „ich hätte Ihnen auch nichts von dem Projekt
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