Das Mädchen aus Mantua
in so einem tristen, formlosen Witwengewand. Und ohne die unkleidsame Haube. Sie ist zauberhaft wie der junge Frühling!«
»Davon bin ich überzeugt, denn mir ist lange keine Dame mehr begegnet, die mir hübscher vorkam«, erklärte Hieronimo, und er schien tatsächlich jedes Wort ernst zu meinen.
Sprachlos blickte Timoteo zwischen ihm und Celestina hin und her. War hier etwa ein Caliari im Begriff, sich mit jemandem aus dem Hause Bertolucci zu verbrüdern?
Obwohl … verbrüdern war gewiss nicht das rechte Wort dafür. Das hätte allenfalls auf die beginnende Freundschaft zwischen ihm selbst und Marino gepasst. Die indessen in Wahrheit keine Freundschaft gewesen war, sondern nur die berechnende Täuschung einer verkleideten Frau.
Vergeblich versuchte Timoteo, die Verwirrung zu bekämpfen, die ihn bei diesen Überlegungen erfasste. Warum musste er ausgerechnet jetzt daran denken, wie er Celestina vor dem durchgehenden Gaul gerettet hatte? Wie zart und weiblich sich ihr Körper angefühlt hatte, als er sie nach dem Sturz vorsorglich abgetastet hatte?
Hastig schüttelte er den Kopf, um die störende Erinnerung loszuwerden.
Immerhin hatten die Frauen mittlerweile die Unterhaltung beendet, mit der Begründung, dass sie spät dran seien, die Familie erwarte sie bereits.
»Auf bald, die Damen!«, rief Hieronimo Celestina nach, während sie, von ihrer Stiefschwester eingehakt, über die belebte Piazza davonschlenderte. Sie drehte sich kurz um und winkte den Brüdern zu, bevor sie weiterging und hinter einem vorbeirollenden Fuhrwerk außer Sicht geriet.
»Was sollte das eben?«, wollte Timoteo wissen, während Hieronimo mit einem Schnalzen das Pferd antrieb und der Einspänner sich in Bewegung setzte.
»Was meinst du?«, fragte Hieronimo gelassen zurück.
»Wieso hast du dieser Person schöngetan?«
»Das wirst du noch früh genug erfahren.«
»Was zum Teufel soll das heißen?«
»Warte es einfach ab.«
Timoteo hätte ihn am liebsten am Kragen gepackt und ihn geschüttelt, doch mehr wollte sein Bruder sich nicht entlocken lassen. Zwischen Ärger und Verunsicherung schwankend, betrachtete Timoteo ihn von der Seite. Hieronimo blickte in gedankenvollem Schweigen geradeaus. Hin und wieder lächelte er.
»Dieser Hieronimo Caliari ist ein gut aussehender Mann«, sagte Arcangela, nachdem das Rädergeräusch des Fuhrwerks verklungen war. »Und obendrein unvermählt.«
Dem konnte Celestina schwerlich widersprechen, also beschränkte sie sich auf ein Nicken.
»Er hat dir Avancen gemacht«, stellte Arcangela fest.
»Das kam dir nur so vor«, meinte Celestina. »Er wollte lediglich höflich sein.«
»Dazu hätte er gewiss nicht anhalten und dir Komplimente machen müssen. Ein freundliches Nicken hätte durchaus gereicht, um der Höflichkeit Genüge zu tun.«
Celestina hob die Schultern. »Wer weiß. Vielleicht haben sie bei den Caliari unlängst Familienrat gehalten und sind dabei übereingekommen, den Fehdehandschuh endgültig zu begraben und dafür alle nur erdenklichen Gelegenheiten zu nutzen. Anlass für diese Sinneswandlung könnte die letzte Begegnung zwischen Guido und Timoteo gewesen sein. Wäre ich nicht dazugekommen, hätte es ein Blutvergießen gegeben, so viel ist sicher. Dieser Vorfall hat die Caliari vielleicht endgültig zur Vernunft gebracht. Vergiss nicht, welche Konsequenzen ihnen drohen, falls sie noch einmal Gradenigos Unwillen auf sich ziehen. Aus welchen anderen Gründen sollte Hieronimo Caliari freundlich zu mir sein?«
Arcangela runzelte die Stirn, dann nickte sie nachdenklich. »Das könnte Sinn ergeben. Dennoch …«
Dieses Dennoch hallte während des gesamten Heimwegs in Celestina nach, und es hatte den Klang von drohendem Unheil.
Am folgenden Tag
Celestina war an diesem Montagmorgen früher mit dem Verkleiden fertig als sonst. Sie wollte vermeiden, dass Timoteo sie vor der Vorlesung abfing. Wenn sie vor ihm in der Universität eintraf, konnte sie sich früher als er in den Hörsaal begeben. Dann wäre sie wenigstens ein paar Stunden sicher vor ihm und vor dem, was er womöglich in der Zwischenzeit ausgeheckt hatte. Sie hatte kein Verlangen nach einer weiteren Auseinandersetzung, und schon gar nicht nach einer Erpressung der vorangegangenen Art, weshalb sie eine erneute Begegnung mit ihm so lange hinausschieben würde, wie es nur ging.
Auf Dauer konnte sie ihm natürlich nicht aus dem Weg gehen; wenn er sie nicht vor der Vorlesung erwischte, dann auf jeden Fall hinterher, und er
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