Das Mädchen aus Mantua
Laune zeigten, ergingen sich in Späßen und rüden Sprüchen. Zu Celestinas Leidwesen richtete sich einiges davon auch gegen sie.
»He, Marino Steinschneider, du marschierst ja heute ganz alleine! Sind dir die Freunde ausgegangen?« Baldo, der keine Gelegenheit ausließ, Celestina zu ärgern, rempelte sie scheinbar versehentlich an. Der Stoß war kräftig, sie fiel beinahe hin. Sie nahm den Angriff kommentarlos hin und beeilte sich, von dem Grobian wegzukommen. Als Sohn eines einflussreichen venezianischen Politikers fühlte er sich den meisten anderen Studenten haushoch überlegen; weil sein Vater ein mächtiger Mann war, sahen etliche seiner Kommilitonen sich gezwungen, seine Übergriffe zu dulden, und Celestina bildete hier keine Ausnahme.
Ihr Versuch, ihm zu entkommen, blieb indessen erfolglos. Er holte mit langen Schritten auf. »Ich rede mit dir, Milchgesicht! Was ist das für eine Unhöflichkeit, mich einfach stehen zu lassen?« Er wandte sich Beifall heischend in die Runde. »Wird es nicht höchste Zeit, diesem Neuling Manieren beizubringen?«
»Ach Baldo, lass ihn doch. Der ist doch fast noch ein Kind. Schau dir die dünnen Ärmchen und Beinchen an, wie bei einem Mädchen.«
Celestina zuckte zusammen, doch sie erschrak erst recht, als Baldo sie bei der Schulter packte und zu sich herumzog. »Stimmt das, Milchbübchen? Bist du so schwach, wie du aussiehst? Oder besitzt du männlichen Mut, der dir Kräfte verleiht?«
Es juckte Celestina in den Fingern, ihm eine Ohrfeige zu verpassen, doch sein verschlagener Gesichtsausdruck zeigte, dass er nur auf einen solchen Versuch wartete. Beklommen hielt sie Ausschau nach Zirelli. Doch der Dozent hatte sich an die Spitze des Zuges gesetzt und war bereits ein gutes Stück vorausgegangen, in eine angeregte Unterhaltung mit William Harvey vertieft. Hinter den beiden gingen Timoteo und Galeazzo, und keiner von ihnen blickte sich um.
»Baldo, ich will mich nicht mit dir streiten«, sagte Celestina bemüht freundlich. »Du bist viel stärker als ich. Wieso sollte ich so dämlich sein, mich mit dir anzulegen?«
Das nahm ihm den Wind aus den Segeln, jedoch nur für einen Augenblick. Er fing an zu sticheln. »Ah, mir scheint, hier redet eine Memme. Eine kleine, piepsende Maus. Stimmt das, Marino Maus?«
»Wenn du es sagst, muss es wohl stimmen.«
»Willst du etwa noch frech werden?« Der Griff um ihre Schulter wurde härter, es tat weh. »Ich kann Feiglinge nicht ausstehen. Aber freche Feiglinge sind mir ein Gräuel.«
»Baldo, nun lass den Kleinen doch!«, kam es von einem der anderen.
Baldo wandte sich zu ihm um. »Merkst du nicht, dass es ihm an männlicher Erziehung fehlt? Wenn niemand sich seiner annimmt, wird nie ein richtiger Kerl aus ihm!« Er drängte sie gegen eine Hauswand und hielt sie dort fest. »Wobei sich fragt, ob er das überhaupt will. Vielleicht ist er vom anderen Ufer.« Er packte sie beim Kragen und zog sie auf Augenhöhe zu sich heran. »Sag, Marino, bist du ein verfluchter Perverser?«
Die meisten anderen waren weitergegangen, unter ihnen der besonnene Kommilitone. Nur zwei Nachzügler blieben stehen und schauten erwartungsvoll zu. Das waren Baldos Kumpane, von ihnen konnte sie keine Hilfe erwarten.
Baldo wandte sich grinsend zu ihnen um. »Wenn wir erst anfangen, solche Weichlinge unter uns zu dulden, können wir uns gleich zum frommen Chorgesang zusammenfinden statt zum zünftigen Umtrunk.«
»Lass mich los«, sagte Celestina.
Baldo lachte. »Der Zwerg will mir Befehle erteilen!«
»Lass mich bitte los!«
»Vielleicht tue ich es. Wenn du zugibst, ein perverser Sodomit zu sein.«
»Etwa auf diese Art?« Sie griff in seinen Schritt und presste dort mit äußerster Kraftanwendung alles zusammen, was sie zu fassen kriegte, worauf er sich brüllend zusammenkrümmte.
Sie war frei. Im Laufschritt entfernte sie sich vom Ort des Geschehens. Sie ging erst wieder langsamer, als sie direkt hinter Timoteo war. Er blickte sich erstaunt um, als er ihr Schnaufen hörte. »Was …?« Sein Blick fiel auf die Gruppe weiter hinten, wo Baldo immer noch gebückt dastand und sich mit beiden Händen die edlen Teile hielt.
»Warst du das?«, wollte er verblüfft wissen.
Sie nickte. »Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit.«
»Weiß er …?«
»Nein. Er hat mir nichts getan, sondern nur dumme Sprüche geklopft.«
»Wegen dummer Sprüche würde er sich jetzt nicht die Eier halten. Der Kerl braucht einen Denkzettel!« Er setzte sich in Bewegung,
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