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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Timoteo hätte auch davon berichten können, dass ihm als Student der Medizin zwar eine Menge Wissen über den Aufbau und das Innere des menschlichen Körpers beigebracht wurde, aber kaum mehr als rudimentäre Kenntnisse über das Handwerk der Chirurgie. Wollte ein Medicus mehr darüber wissen, war er darauf angewiesen, es in praktischer Anwendung selbst zu erlernen. Soweit einzelne Ärzte sich überhaupt damit beschäftigten, konnte man sie vermutlich an einer Hand abzählen. Timoteo selbst hatte noch keinen Medicus kennengelernt, der sich nicht nur in der Anatomie, sondern auch der Chirurgie auskannte. Abgesehen natürlich von Celestina Ruzzini. Sie ging ihm kaum noch aus dem Kopf. Das vorherrschende Gefühl, wenn er an sie dachte, war Verwirrung. Daneben empfand er immer noch eine gehörige Portion Groll auf sie, gepaart mit Ärger über sich selbst und seine leichtgläubige Dummheit.
    Er verließ das Haus des Gerbers und ging ein Stück die Brenta entlang, um Klarheit in seine Gedanken zu bringen.
    Das abgebrannte Gebäude war bereits wieder aufgebaut und fast fertig ausgestattet; sein Bruder hatte den Weisungen des Vaters entsprechend alles getan, um dem Pächter zu helfen. In den vergangenen Wochen war er fast täglich aus der Stadt hergekommen, um nach dem Rechten zu sehen und die Fortschritte der Arbeiten zu beaufsichtigen.
    An diesem Sonntag hatte Timoteo ihn begleitet, weil er nach dem Jungen schauen wollte. Seine Freude darüber, dass Giulio sich gut erholt hatte, war indessen nur von kurzer Dauer, denn die Niederlagen der vergangenen Woche hingen ihm immer noch nach. Er wusste nicht, was ihm mehr zusetzte – das Debakel mit Chiara oder dass er auf Celestinas Schauspiel hereingefallen war.
    Beides zusammen verstörte ihn jedenfalls so nachhaltig, dass sein ganzes Denken davon beherrscht war.
    Er ging an dem grünen Flussufer entlang, lauschte dem Murmeln des Wassers und streifte von Zeit zu Zeit müßig die tiefhängenden Äste der Weiden zur Seite, an denen er vorbeikam. Er liebte die friedliche Stimmung am Kanal; schon als Junge hatte er oft am Ufer gehockt und die vorbeifahrenden Boote betrachtet. Manche von ihnen wurden von Treidelpferden gezogen, wenn die Strömung nicht ausreichte, sie flussaufwärts zu befördern. Täglich kamen Menschen und Waren aus der venezianischen Lagune, oder sie traten den umgekehrten Weg an, auf den gemächlich im Kanal dahingleitenden flachen Booten.
    Er dachte an seinen ersten Besuch in Venedig zurück. Sein Vater hatte davon gesprochen, dass die Stadt in ihrer Verderbtheit und Zügellosigkeit nichts sei für einen Knaben von kaum fünfzehn Jahren, doch Brodata hatte sich dafür eingesetzt, dass Timoteo mitkommen durfte.
    »Wir wollen nicht zum Karneval, sondern zum Markusfest. Ich war schon ewig nicht mehr dort, und ich fühle mich besser, wenn mich zwei junge Männer begleiten. Sieh dir deinen Sohn an, er ist erwachsen, so groß und stark wie Hieronimo. Und wenn er nächstes Jahr ein Offizierspatent für die venezianische Armee erhalten soll, ist es wohl angebracht, der Serenissima einmal einen Besuch zu Ehren des dortigen Schutzheiligen abzustatten.«
    Sein Vater hatte es letztlich gestattet, doch es war nicht leicht gewesen, ihn zu überzeugen. Während der Bootsfahrt hatte Brodata zu Timoteo gesagt, dass die Vorbehalte seines Vaters zum Teil damit zu tun hatten, dass er selbst nicht mit ihnen reiste. Das wiederum hing mit seinem Stolz zusammen. Es war für ihn schlimm genug, in seiner vertrauten Umgebung bei jedem Handgriff auf Hilfe angewiesen zu sein. In Venedig wäre seine hilflose Lage weit stärker ins Gewicht gefallen, zumal es dort keine Fuhrwerke gab, sondern nur Gondeln, die im Wasser schwankten, sowie steile Brücken mit rutschigen Stufen und Gassen, die so eng waren, dass kaum ein Mann hindurchpasste.
    Timoteo mochte Venedig. Nach dem ersten Besuch war er mehrmals dort gewesen, zweimal während seiner Zeit als Offizier und einmal danach, als er für seine treuen Dienste im Feld mit dem Stipendium geehrt worden war.
    Am besten hatte ihm der Seehafen gefallen, die lichte Weite am Bacino di San Marco, wo die Schiffe vor Anker lagen, die Masten so hoch wie der Himmel und die flatternden Wimpel und Fahnen so bunt und vielfältig wie die Menschenmenge auf den Kais. Aus aller Herren Länder kamen diese Schiffe, und sie dienten den unterschiedlichsten Zwecken, von den kleinen, wendigen Rudergaleeren des Mittelmeeres über die größeren, hochseetüchtigen

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