Das Mädchen aus Mantua
würde in der Wahl seiner Methoden, sie zu einem Vier-Augen-Gespräch zu bewegen, genauso wenig zimperlich sein wie beim letzten Mal. Irgendeine Ecke, in die er sie zerren konnte, um ihr Vorhaltungen zu machen, würde sich überall finden, sogar in der von Studenten wimmelnden Universität.
Davon abgesehen plagte sie die Neugier. Gar zu gern hätte sie gewusst, woher Hieronimo Caliaris plötzliche Freundlichkeit rührte. Vielleicht wusste Timoteo etwas darüber. Allerdings hielt Celestina das für fraglich. Das Verhalten seines Bruders schien ihn ebenso sehr überrascht zu haben wie sie selbst.
Nachdenklich legte sie ihre Frauenkleidung in den Beutel und diesen wiederum in ihren Henkelkorb, der sich in der letzten Zeit zu einem unentbehrlichen Begleiter gemausert hatte.
»Du schaffst neuerdings wirklich unglaubliche Mengen Medizin für deine arme kranke Tante Marta herbei«, hatte Onkel Gentile erst vor wenigen Tagen im Vorübergehen zu ihr gesagt. Die Bemerkung war von seinem üblichen süffisanten Lächeln begleitet, was ihr Unbehagen beträchtlich gesteigert hatte. Prompt argwöhnte sie, dass er ihre Verkleidung durchschaut hatte und womöglich nur den passenden Zeitpunkt abwartete, um für sein Schweigen eine Gegenleistung einzufordern. So wie Timoteo in Bezug auf Chiara. Oder aber wie Cousin Guido, der von Celestina verlangt hatte, seine Mutter davon zu überzeugen, dass er mehr Taschengeld benötige. Er hatte ihr sogar vorgemacht, wie sie ihre Rolle zu spielen hatte. »Tante Marta«, hob er mit treuherzigem Augenaufschlag an. »Ein junger Mann in Guidos Alter sollte mehr Mittel zur Verfügung haben. Ich habe oft den Eindruck, dass er zu kurz kommt, vor allem in Anbetracht der vielen schönen Kleider, die sich seine Schwester nähen lässt. Findest du das nicht manchmal ein wenig ungerecht deinem Sohn gegenüber? Wie? Das neue Pferd? Ach so, nun ja. Aber jeder junge Edelmann in Padua besitzt ein Pferd, die meisten sogar einen Wagen, und Guido hat keinen! Ach, du meinst, er würde von allein mehr einfordern, wenn er mehr wollte? Wenn du mich fragst, ist er dafür viel zu stolz, Tante Marta. Hinzu kommt, dass sein Vater ihn nicht leiden kann. Nein, streite es nicht ab, Tante! Ich spüre es bei jeder Äußerung von Onkel Lodovico. Grund genug für Guido, alles schweigend zu ertragen, muss er doch fürchten, diese Ablehnung erst recht zu schüren, wenn er Wünsche für seinen Lebensbedarf ausspricht. Aber ich sehe ihm an, wie verzagt er ist, weil ihm das Geld fehlt, um mit seinen Freunden auszugehen oder sich ein neues Schwert zu gönnen, obwohl das alte doch schon ganz schartig ist vom Üben.«
Guido hätte womöglich noch stundenlang weiter schwadroniert, wenn Celestina ihm nicht Einhalt geboten hätte. Am liebsten hätte sie ihrem gierigen Vetter ein paar Backpfeifen angedeihen lassen, doch sie hatte keine andere Wahl, als sein dreistes Ansinnen zu unterstützen. Und das sogar mit bestem Erfolg, wie sie selbst zähneknirschend und Guido höchst beglückt zur Kenntnis nahm. Marta überschlug sich förmlich, ihrem geliebten Sohn ein neues Schwert, neue Stiefel und einen neuen Sattel zu finanzieren. Und ihm nebenher noch so viel Bares zuzustecken, dass es sicherlich für ein monatelanges Luxusleben reichte. Celestina hätte mit einem Bruchteil davon alle Ausgaben für eine Promotion bestreiten können, doch ihr blieb nichts anderes übrig, als ihren Unmut hinunterzuschlucken.
Sie bemerkte, dass sie ihre Zeit mit sinnlosen Grübeleien vertat und schickte sich an, das Archiv zu verlassen. Wie immer öffnete sie die Tür zum Gang zunächst für einen winzigen Spalt, um sicherzustellen, dass die Luft rein war, bevor sie sich auf den Weg machte.
Zu ihrem Schrecken geschah dasselbe wie schon einmal: Ein knappes Dutzend Schritte entfernt sah sie die Nonne Deodata im Gang stehen, in angeregter Unterhaltung mit Onkel Lodovico vertieft.
»… sehr nützliche Wirkungsweise«, hörte Celestina die Nonne sagen. »Dank Eurer Mitwirkung wird vielen, die wir für unheilbar halten, auf höchst effektive Weise geholfen!«
»Ich wünschte, ich könnte einmal das Ergebnis einer solchen Anwendung sehen.«
Die Nonne lachte, als hätte Lodovico einen ausgezeichneten Witz gemacht. Ob Lodovico das Ganze ebenfalls erheiternd fand, vermochte Celestina nicht einzuschätzen. Der Spalt, durch den sie lugte, war so winzig, dass sie von ihrem Onkel nur ein Stück des Hinterkopfes und der Schulter sehen konnte.
»Wer weiß, vielleicht
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