Das Mädchen aus Mantua
Kriegsgaleonen und die bauchigen Handelskoggen bis hin zu den gewaltigen, dreimastigen Karacken, mit denen die ganze Weite der Ozeane befahren werden konnte. Als er das letzte Mal dort gestanden und die Schiffe betrachtet hatte, war der Wunsch in ihm erwacht, eines davon zu besteigen und in die Welt hinauszufahren. Die fremden Länder, die Tausende Meilen entfernt jenseits des Horizonts auf diese Schiffe warteten, hatten durch die Erzählungen von Matrosen, die er in Schenken und auf den Plätzen aufgeschnappt hatte, eine beinahe magische Anziehungskraft gewonnen. Indien, China, Amerika … Wie es dort wohl aussah? Wie lebten die Menschen dort? Und welche Medizin nutzten sie, um Krankheiten zu heilen?
Die Stimme seines Bruders riss ihn aus seinen Gedanken.
»Zeit, zurückzufahren«, rief Hieronimo von der Gerberei herüber. Er hatte alles inspiziert und war leidlich zufrieden, sodass die Rückfahrt in entspannter Stimmung verlief. Hieronimo lenkte den Einspänner und summte unterwegs sogar ein Lied, ein sicheres Zeichen für gute Laune. Da dies ein höchst seltenes Ereignis war, wirkte es sich ansteckend auf Timoteos eigene Gemütsverfassung aus. Er verdrängte den Ärger der zurückliegenden Woche und dachte wieder an die Schiffe, die von Venedig aus in die Welt hinaussegelten.
Zu seinem Leidwesen hielt diese Ausgeglichenheit nicht lange vor. Ihr Gespann hatte kaum das Stadttor passiert, als er an einer Häuserecke Celestina und ihre Stiefschwester Arcangela stehen sah. Beide steckten die Köpfe zusammen und lachten.
Am liebsten hätte Timoteo so getan, als hätte er die beiden überhaupt nicht bemerkt, doch daraus wurde nichts. Sein Bruder zog die Zügel an und verlangsamte die Fahrt, um gleich darauf auf Höhe der beiden Frauen anzuhalten. Unbehagen keimte in Timoteo auf, hoffentlich suchte sein Bruder keinen Streit!
Doch zu seiner Überraschung verbeugte sich Hieronimo vom Kutschbock aus vor den Damen. »Seid gegrüßt, Monna Ruzzini.«
Celestina erwiderte den Gruß sichtlich verdattert. »Messèr Caliari. Und, ähm, Euer jüngerer Bruder, nicht wahr? Hm … darf ich vorstellen? Meine Stiefschwester Arcangela.«
»Sehr erfreut«, behauptete Arcangela. Ihr Gesichtsausdruck war nicht zu deuten, doch Timoteo hatte den Eindruck, dass sie vor Neugier fast platzte.
»Du fragst dich sicher, woher ich Monna Ruzzini kenne«, sagte Hieronimo zu seinem Bruder.
»Nein, denn das ist mir bekannt. Tante Brodata berichtete mir, dass es eine Begegnung auf dem Markt gab und dass du Monna Ruzzini dabei geholfen hast, herabgefallene Orangen aufzuheben.«
»Die durch meine Unachtsamkeit aus ihrem Korb gerollt waren«, sagte Hieronimo.
Timoteo starrte seinen Bruder ungläubig an. Hatte er da gerade ein Lächeln bei Hieronimo gesehen?
»Nicht doch«, sagte Celestina verlegen. »Daran war nur meine Ungeschicklichkeit schuld.«
»Dafür lag es an mir, dass wir beim Bücken mit den Köpfen zusammengestoßen sind.« Hieronimo lächelte. »Ich frage mich immer noch, wessen Schädel härter war, Eurer oder meiner. Allerdings möchte ich wetten, dass es Eurer war, denn ich spürte noch eine Weile ein leichtes Brummen im Kopf.«
Timoteo konnte es nicht fassen. So hatte er seinen Bruder noch nie erlebt. Hieronimo kam ihm völlig verändert vor, kein Vergleich mit dem griesgrämigen Misanthropen, als der er sich sonst immer gebärdete. Schäkerte er etwa mit Celestina?
»Ich hoffe, Euer Bruder aus Mantua ist wohlauf und hat sich gut in der Stadt eingelebt«, fuhr Hieronimo aufgeräumt fort.
»Oh, das hat er, danke der Nachfrage.«
»Woher weißt du von ihrem Bruder?«, platzte Timoteo heraus.
»Nun, auch das erfuhr ich bei besagtem Treffen auf dem Markt«, meinte Hieronimo freundlich. »Genau genommen sprach Guido Bertolucci davon, worauf mir Monna Ruzzini versicherte, dass ihr Bruder keine feindlichen Absichten gegen die Caliari hege. Das hat sehr zu meiner Erleichterung beigetragen. Die Freude darüber hält immer noch vor, was auch der Grund ist, warum mir diese Begegnung mit Monna Ruzzini nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist.« Er verneigte sich galant vor Celestina. »Wozu indessen auch Eure Schönheit beitrug.«
Er schäkerte eindeutig mit ihr! Timoteo blieb der Mund offen stehen.
»Ihr schmeichelt einer unscheinbaren Witwe«, sagte Celestina mit gesenktem Blick.
»Ganz und gar nicht«, sagte Arcangela eifrig. An Hieronimo gewandt, fügte sie hinzu: »Ihr müsstet sie einmal in einem richtigen Kleid sehen, nicht
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