Das Mädchen aus Mantua
doch sie hielt ihn am Arm fest. »Bitte nicht, Timoteo. Er hat nur ein paar derbe Späße gemacht, nichts weiter.«
Galeazzo war ebenfalls stehen geblieben. Er wirkte besorgt. »Ich kann mir lebhaft vorstellen, welche Späße das waren. Du solltest aufpassen, kleine Dame.«
Entsetzt blickte Celestina ihn an. »Du weißt, dass ich …«, stammelte sie, unfähig, den Satz zu beenden.
»Es ist nicht so, als hätte Timoteo es herumerzählt«, beruhigte Galeazzo sie. »Für manche Dinge haben wir nun einmal einen schärferen Blick als er.«
»Wir?«
»Nur William und ich.«
»Seit wann?«, wollte sie erschüttert wissen.
»Von Anfang an.«
Timoteo beobachtete unterdessen Baldo mit zornig zusammengezogenen Brauen. »Der Kerl hat schon lange eine Tracht Prügel verdient.«
»Dem widerspreche ich nicht«, sagte Galeazzo. »Der gute Baldo war schließlich einer von denen, die mich ins Fass gesteckt haben. Dennoch empfiehlt es sich, die passende Gelegenheit abzuwarten. Schon deshalb, weil sein Vater ein vermaledeiter Zehnerrat ist. Und ein guter Freund des Rektors. Ein Rauswurf von der Universität würde uns beiden so kurz vor der Promotion nicht gut zu Gesicht stehen.«
»Außerdem darfst du nicht vergessen, dass du wegen des Blutvergießens auf der Piazza hier in der Stadt ohnehin schon persona non grata bist«, warf Celestina ein. »Du musst den Gesetzen der Vernunft folgen.«
Timoteo war ganz eindeutig anderer Ansicht. Der Zorn darüber, zur Zurückhaltung verdammt zu sein, stand ihm deutlich im Gesicht geschrieben.
Celestina seufzte unhörbar. Es rührte sie, dass er sich für sie hatte einsetzen wollen, und das, obwohl er wegen des katastrophalen Treffens mit Chiara sicher noch gehörig verstimmt war. Ganz zu schweigen von seinem Ärger darüber, dass sie ihn mit ihrer Verkleidung genarrt hatte.
Gleich darauf stellte sich heraus, wie sehr ihre Einschätzung zutraf, wenngleich weniger auf anrührende als auf besorgniserregende Weise. Während sie gemeinsam weitergingen, musterte er sie grollend von der Seite. »Du siehst lächerlich aus in Hosen.«
Mit einem verstörten Rundblick überzeugte sie sich davon, dass keiner es mitbekommen hatte. Empörung erfasste sie, weil er sie mit seinen unbedachten Äußerungen in Gefahr brachte. Aber dann begriff sie, dass er absichtlich so laut gesprochen hatte. Nicht um sie zu verraten – offenkundig hatte er sich vergewissert, dass niemand mithörte –, sondern um ihr seine Macht zu demonstrieren. Wütend erkannte sie, dass er sie immer noch in der Hand hatte. Vielleicht sogar noch mehr als zuvor. Sich seiner Erpressung zu beugen hatte ihr keine Sicherheit verschafft, sondern sie erst recht geschwächt. Sie war seinem Willen mehr denn je ausgeliefert. Ein unerträglicher Zustand!
Sie biss die Zähne zusammen und hasste es, neben ihm hergehen zu müssen. Viel lieber wäre sie wieder zurückgefallen, um ausreichend weit von ihm weg zu sein. Doch das hätte sie wieder in die Nähe von Baldo gebracht. Ein Blick über die Schulter zeigte ihr dessen rachsüchtige Miene. Er bemerkte, dass sie sich umsah und hob drohend die Faust.
Fürs Erste blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit Timoteo gutzustellen. Wenn sie weiter ihre Rolle spielen wollte, musste sie sich notgedrungen seiner Unterstützung versichern. Wofür er selbstredend seine Forderungen stellen würde. Fragte sich nur, welche.
Sie entschied, den Stier bei den Hörnern zu packen und es von sich aus anzusprechen. Auf diese Weise konnte sie das Heft in der Hand behalten und musste sich nicht von ihm in die Ecke treiben lassen.
»Tut mir leid, dass es gestern schiefgegangen ist«, begann sie bemüht freundlich. »Chiara kann nichts dafür. Sie ist manchmal … launisch.«
Timoteos Miene wurde eisig. »Launisch? Sie brach in Tränen aus, als sie mich sah!«
»Ich sagte ja, dass es mir leid tut.«
»Wenn du ihr wenigstens kurz vorher Bescheid gesagt hättest! Dann wäre sie vielleicht nicht gar so sehr erschrocken!« Gereizt wandte er sich an Galeazzo, der angeregt lauschte. »Kannst du vielleicht ein Stück vorausgehen?«
Galeazzo befolgte den Befehl mit sichtlichem Widerwillen.
Celestina wies derweil Timoteo auf eine unübersehbare Tatsache hin. »Hätte ich ihr gesagt, dass du sie treffen willst, wäre sie auf direktem Wege nach Hause gerannt, und zwar bevor sie dich traf.«
Die Gruppe der Studenten hatte den nahe der Basilika und dem Prato della Valle gelegenen Botanischen Garten erreicht. Der
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