Das Mädchen aus Mantua
vergangenen Nacht sehr geweint habe. Mehr könne sie jedoch nicht dazu sagen. Celestina fasste sich ein Herz und befragte Gentile. Der erklärte nur wortkarg, dass aus der Heirat wohl nichts mehr werde. Er habe das Gespräch zwischen seiner Nichte und dem jungen Caliari belauscht, und leider habe sie es ruiniert. Timoteo Caliari sei kein Narr, zweifellos habe er sofort Lunte gerochen.
Folglich war es wohl gründlich schiefgegangen.
Celestina suchte ihre Cousine in deren Kammer auf und ließ nicht eher locker, bis sie alles Wissenswerte aus ihr herausgeholt hatte, was sich jedoch als kläglich wenig erwies. Chiara schwor Stein und Bein, Timoteo nichts von dem Kind erzählt zu haben.
»Ich habe überhaupt nichts zu ihm gesagt, nur, dass ich ihn heiraten will!« Eisern blieb sie bei dieser Darstellung, allen Nachfragen zum Trotz. Allerdings räumte sie ein, dass das Gespräch sehr schnell vorbei gewesen sei. Sie habe es einfach nicht ertragen, länger mit Timoteo zu reden. »Mir kamen die Tränen, ich konnte nichts dafür!«, erklärte sie bockig.
Mehr war ihr nicht zu entlocken.
Celestina blickte voller Bangigkeit der kommenden Nacht entgegen.
Sicherheitshalber verriet sie ihrer Stiefschwester nichts von alledem. Wie sie Arcangela kannte, würde diese sie nicht gehen lassen. Oder zumindest darauf bestehen, mitzukommen. Dieses Vorhaben aber musste sie allein durchstehen.
Sie zog ernsthaft alle erdenklichen Schlechtigkeiten in Betracht, die ihr wohl blühen mochten, und kurz hatte sie sogar befürchtet, er wolle ihr vielleicht einfach dort zwischen Weiden und Oleander den Hals umdrehen. Doch das hatte sie rasch wieder verworfen, denn in dem Falle hätte er ihr gewiss keine Botschaft geschickt, die ihn später hätte verraten können. Ob er sie verprügeln wollte? Er war bestimmt nicht zart besaitet; schließlich war er im Krieg gewesen, und so, wie sie ihn an ihrem ersten Tag in Padua während des Kampfs auf der Piazza erlebt hatte, musste man damit rechnen, dass er zum Berserker wurde, wenn die Wut ihn übermannte. Und wütend war er, das stand völlig außer Frage.
Ihre Beklommenheit wuchs von Stunde zu Stunde. Arcangela schlief zum Glück tief und fest; sie hatte sich bereits kurz nach dem Kompletläuten zu Bett begeben. Celestina versuchte, sich mit einer großformatigen Illustration des Verdauungssystems abzulenken, doch immer wieder gingen ihre Gedanken zu dem bevorstehenden Treffen. Als es endlich Zeit zum Aufbrechen war, empfand sie es fast als Erlösung.
Den Weg brachte sie rasch und ohne innezuhalten hinter sich. Anders als beim letzten Mal waren die Gassen menschenleer, was an dem beständigen Nieseln liegen mochte, das schon vor Stunden eingesetzt hatte. Den Umhang fest um sich geschlungen und das Gesicht unter der weiten Kapuze verborgen, bahnte sie sich den Weg durch die regenfeuchte Böschung, bis sie inmitten der blühenden Oleandersträucher den umgestürzten Baum gefunden hatte.
Sie stellte das Windlicht ab, setzte sich auf den Stamm und wartete.
Pünktlich zum Schlag der vollen Stunde erreichte er den Uferweg. Er erwog, sie warten zu lassen, aber daraus wurde nichts, denn schon nach wenigen Augenblicken nahm seine Unruhe überhand – was, wenn sie überhaupt nicht gekommen war?
Entschlossen stieg er die leicht abschüssige Böschung hinab. Wassertropfen spritzten nach allen Seiten, als er die tief hängenden Zweige der Weiden beiseite schob. Im Licht der mitgeführten Laterne leuchteten weiß die Blüten des Oleanders auf. Jenseits der Büsche schimmerte die Wasseroberfläche des Flusses, dessen Strömung an den Ufern kleine Strudel bildete.
Ihm stockte der Atem, als er Celestina auf dem umgestürzten Baumstamm sitzen sah, an derselben Stelle, die er in der vergangenen Nacht eingenommen hatte. Während er sie betrachtete, merkte er zu seiner grenzenlosen Verwirrung, dass sämtliche Wut in ihm auf einen Schlag erstarb. Es war fast, als hätte es sie nie gegeben.
Konsterniert überlegte er, wie es dazu hatte kommen können, und aus einem törichten Impuls heraus hätte er sie beinahe danach gefragt, wie sie es angestellt hatte, dass sein Zorn so plötzlich verraucht war, doch alles, was herauskam, war eine andere Frage, die indessen in seinen Ohren nicht weniger einfältig klang.
»Warum hast du heute Frauenkleidung angezogen?
»Weil ich dachte, dass du mich vielleicht schlagen willst.«
Es klang, als würde sie es völlig ernst meinen, und er erkannte, dass ihre Annahme nicht so
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