Das Mädchen aus Mantua
Ringen, sich aus allem herauszuhalten.
Der Zettel, den der Junge ihm übergeben hatte, schien Löcher in seine Tasche zu brennen. Timoteo hatte die Nachricht nur flüchtig gelesen, weil sein Vater und Brodata zugegen waren. Er hatte das Stück Papier sofort mit gleichmütiger Miene zusammengefaltet und eingesteckt.
»Wer schreibt dir denn?«, wollte seine Tante wissen.
»Ach, bloß Galeazzo. Ihm ist langweilig, und er will wissen, ob ich Zeit habe, heute Abend mit ihm auszugehen.«
»Nun, die hast du, oder?«
»Ja«, sagte er wortkarg.
»Du könntest deinen Freund auch hierher einladen«, meinte sein Vater. »Ihr könnt ruhig ein Glas zusammen trinken, es stört mich nicht, einmal länger aufzubleiben.«
Da sei Gott vor, dachte Timoteo.
»Galeazzo ist nicht besonders häuslich. Ein Glas Wein in stiller Umgebung ist seine Sache nicht. Er geht lieber ins Wirtshaus.«
Er wartete auf eine abfällige Bemerkung seines Vaters, doch die blieb aus. Möglicherweise war er durch Timoteos fügsames Verhalten in der vergangenen Woche milde gestimmt. Timoteo war jeden Tag mit Hieronimo aufs Land hinausgefahren und hatte bei den letzten Arbeiten an der Gerberei Hand angelegt, sogar eigenhändig einen Teil des Daches gezimmert. Anschließend hatte er seinen Vater auf den Kutschbock gehievt, war abermals mit ihm zu dem Pachthof gefahren und hatte ihm die Fortschritte gezeigt. Geduldig hatte er alle Fragen beantwortet, sich kränkende Bemerkungen gefallen lassen und später am Abend seinem Vater auf den Topf und dann ins Bett geholfen. Er hatte sich wie ein vorbildlicher Sohn benommen.
Timoteo wartete eine Weile, dann begab er sich unter einem Vorwand in seine Kammer, um die Nachricht von Celestina erneut zu lesen, sogar mehrmals. Doch die Worte blieben immer dieselben. Nicht sie wollte ihn sprechen, sondern Chiara.
Chiara hat sich besonnen. Ihr Herz schlägt für Dich. Sie möchte Dich heute noch sehen. Treffpunkt um Mitternacht beim Oleander.
Er würde Chiara wiedersehen! Und nicht etwa auf sein Bestreben hin, sondern das ihre! Weil ihr Herz für ihn schlug!
Dann dachte er: Beim Oleander. Ausgerechnet. War ihr kein anderer Ort eingefallen?
Eine merkwürdige Verwirrung erfasste ihn. Er hätte aufgeregt sein müssen, doch er war es nicht. Seltsam, wie sehr seine Vorfreude sich in Grenzen hielt.
Er verbrachte den Abend mit Galeazzo und William im Wirtshaus. Die beiden bemerkten seine Nervosität. Galeazzo wollte wissen, was los sei, und nach einigem Zögern erzählte Timoteo ihm von dem anstehenden Treffen.
»Sollte das nicht das Ziel all deiner Wünsche sein?«, fragte Galeazzo.
Timoteo zuckte die Achseln. Das gab Galeazzo zu denken.
»Du wirkst ein wenig teilnahmslos«, meinte er. »Freudige Erwartung bemerke ich nicht an dir.«
Timoteo wusste nichts dazu zu sagen, und auch sonst hatte er wenig zu den Gesprächen beizusteuern. Er hielt sich an seinem Bierkrug fest und zählte bei jedem Glockenläuten die Schläge, damit er die richtige Zeit zum Aufbruch nicht verpasste. Eine halbe Stunde vor Mitternacht machte er sich schließlich auf den Weg. Als er den Uferweg erreicht hatte, bahnte er sich einen Pfad zwischen den blühenden Büschen hindurch und ließ sich auf der umgestürzten Weide nieder. Das Windlicht neben sich, wartete er auf Mitternacht, und allmählich spürte er, wie sich doch Aufregung in ihm breitmachte.
Als er die Schritte vom Weg her hörte, schlug sein Herz schneller, und er stand auf. »Hier bin ich«, rief er mit gedämpfter Stimme.
Er hörte das Rascheln in den Büschen und sah einen schwankenden Lichtschein näher kommen, und dann stand sie plötzlich vor ihm, im Schein der von ihr mitgeführten kleinen Laterne so wunderschön wie eh und je mit ihrem elfenbeinzarten Gesicht und den hellgoldenen Locken. Doch ihre Miene war eher vergrämt als erwartungsfroh. »Du bist ja schon da«, sagte sie.
»Ja, ich habe hier auf dich gewartet, wie du es wolltest.« Er spähte über ihre Schulter in die Dunkelheit. »Bist du etwa allein hergekommen, mitten in der Nacht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Eine unserer Dienerinnen hat mich begleitet.«
Peinlicherweise wusste er nun nicht mehr, worüber sie reden sollten. Er trat von einem Fuß auf den anderen und überlegte, was er sagen sollte. Lastendes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
Sie brach es schließlich, indem sie mit unheilschwerer Stimme sagte: »Ich bin einverstanden.«
»Womit?«, fragte er verdutzt.
»Mit der Heirat.«
Er kam sich
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