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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Selbstvorwürfen zu quälen, obwohl es nach den ersten Malen nicht leicht gewesen war, sich mit ihrer eigenen Zügellosigkeit abzufinden. Dabei versuchte sie gar nicht erst, sich einzureden, dass sie es nur tat, um nicht denunziert zu werden. Ihr war klar, dass es damit nicht das Geringste zu tun hatte. Dennoch dauerte es eine Weile, bis sie einsah, dass sie einen ungeahnten Hang zur Verworfenheit besaß. Während ihrer Ehe war ihr das nie bewusst geworden; mit Jacopo war es im Bett angenehm und schön gewesen, aber es hatte nicht diese dunkle, triebhafte Seite in ihr berührt. Wie es schien, war sie dem, was Timoteo in den verbotenen Nächten mit ihr anstellte, rettungslos verfallen. Er war nach wie vor ein stürmischer Liebhaber, aber mittlerweile hatte er dazugelernt. Immer wieder fragte er sie, wie ihr dieses und jenes gefalle. Voller Wissbegierde und Eifer brachte er in Erfahrung, womit er ihr am meisten Lust verschaffen konnte, und wenn sie in seinen Armen im Augenblick der Erfüllung gedämpft aufschrie, machte ihn das stolz und zufrieden. Umgekehrt verhielt es sich kaum anders; schamlos berührte sie ihn, wie es ihr gefiel, und sie tat Dinge mit ihm, die sogar zum Beichten zu sündhaft waren.
    Zwischen ihren Begegnungen dachte sie häufiger an ihn, als ihr guttat. Nicht einmal ihre Bücher vermochten sie abzulenken. Arcangela, die sie beständig ausfragte und immer haarklein alles erzählt haben wollte, tat ein Übriges, um sie wieder daran zu erinnern, dass sie sich auf hauchdünnem Eis bewegte.
    Die ständige Furcht, entdeckt zu werden, war schlimmer denn je, obwohl der Anlass nun ein anderer war. Hatte sie sich zuvor darum sorgen müssen, mit ihrer Verkleidung aufzufliegen, ging es nun um eine verbotene Affäre. Unter strafrechtlichen Gesichtspunkten mochte dieses neuere Vergehen nicht ganz so stark ins Gewicht fallen, doch es war unbestritten eine Sünde. Damit war es für ihren Seelenfrieden eindeutig belastender als die Männerrolle, in die sie gelegentlich schlüpfte.
    Dabei hatte sie sich seit dem ersten Kuss nicht mehr verkleidet. Sie hatte entschieden, erst wieder als Marino aufzutreten, wenn die großen Ferien vorbei waren und sie wieder zur Universität musste.
    Das Spital besuchte sie dennoch hin und wieder, allerdings in Frauenkleidung. Frater Silvano hatte sie nach dem letzten Kirchgang zur Seite genommen und ihr berichtet, dass er mit Schwester Deodata gesprochen hatte. Bedauernd hatte er einräumen müssen, dass die Nonne sie durchschaut und ihn darauf angesprochen hatte.
    »Ich musste ihr reinen Wein einschenken«, hatte er gesagt. »Aber keine Sorge, sie wird schweigen wie ein Grab. Ihr habt nichts zu befürchten.«
    Celestina empfand bei seinen Worten ein leises Unbehagen, aber dieses Gefühl begleitete sie ohnehin auf Schritt und Tritt, seit sie das erste Mal Männerhosen angezogen hatte. Ein gewisser Fatalismus hatte Besitz von ihr ergriffen. Das, was sie angezettelt hatte, war ihr längst über den Kopf gewachsen. Man konnte es mit einem Stein vergleichen, den man ins Wasser warf. Auch nachdem er versunken war, zog er noch Kreise auf der Oberfläche, und niemand konnte wissen, wie weit sie reichten.
    Sie würde einfach versuchen, das Beste aus allem zu machen, was immer noch auf sie zukommen mochte.

Immer noch Anfang September
    Als sie das nächste Mal ins Spital ging, geschah das, wovor sie sich gefürchtet hatte – sie lief unversehens ihrem Onkel in die Arme. Frater Silvano hatte ihr am Vorabend eine Botschaft gesandt; er benötige ihren Rat in einem Fall von Wochenbettfieber. Am nächsten Morgen machte sie sich in aller Frühe auf den Weg. Wie sonst auch betrat sie das Spital durch den Hintereingang – und prallte erschrocken zurück, als sie im Gang ihren Onkel und Schwester Deodata stehen sah.
    Beinahe hätte Celestina zu einem rechtfertigenden Gestammel angesetzt. Gerade noch fiel ihr ein, dass sie schließlich mit Fug und Recht hier war, nicht als junger Mann verkleidet, sondern als ehrbare Witwe Celestina Ruzzini, die sich, wie ihr Onkel wusste, der Heilung und Pflege von Kranken verschrieben hatte. Onkel Lodovico hatte keinen Grund, über ihr Erscheinen erstaunt zu sein.
    Die Nonne wiederum war zwar über ihr Doppelspiel im Bilde, würde aber laut Frater Silvano schweigen. Hoffentlich. Celestina glaubte, einen leicht höhnischen Zug in Schwester Deodatas Miene wahrzunehmen.
    Sie begrüßte ihren Onkel und die Nonne freundlich.
    »Du bist aber früh hier«, sagte Lodovico.

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