Das Mädchen aus Mantua
gekannt? Das Leben hätte für sie beide anders verlaufen können. Kinder, eine Ehe …
Sie wollte nicht daran denken und tat es doch. Für das eine war es zu spät, ihre fruchtbaren Jahre lagen hinter ihr. Das andere jedoch … wenn erst die passenden Voraussetzungen geschaffen waren …
Nein, völlig ausgeschlossen. Das Schicksal sah dergleichen für sie beide nicht vor.
Eine Aufwallung von Verbitterung unterdrückend, setzte sie sich auf. »Timoteo ist mir schon wieder gefolgt. Ich konnte ihn abschütteln, aber eines Tages wird er herausfinden, wo wir uns treffen.«
Gentile seufzte. »Der Junge sollte lieber für sein Examen lernen.«
»Ich glaube, Alberto hat ihn angestachelt, mir nachzuspionieren.«
»Das ist zu vermuten.«
»Es wird immer schwieriger mit Alberto in der letzten Zeit.«
»Dann verlass ihn, Brodata.«
»Damit alles an Hieronimo hängen bleibt?«
»Timoteo ist doch auch noch da.«
»Nicht mehr lange«, sagte sie. »Er hat schon vor einer Weile mit Hieronimo darüber geredet, dass er weggehen will.«
»Wenn er klug ist, tut er es.«
»Und Hieronimo? Soll er Alberto allein pflegen?«
»Ihr habt Gesinde. Außerdem wird er das Land erben und kann es daher zum Ausgleich auf sich nehmen, seinen Vater bis zu dessen Tod zu ertragen. Er wird schon damit klarkommen, auch wenn du nicht mehr da bist.«
Ihre nächste Frage hätte lauten müssen, wohin um alles in der Welt sie denn gehen sollte, wenn sie ihren Bruder verließe. Sie hatte schon oft davor gestanden, Gentile diese Frage zu stellen. Jedes Mal, wenn er davon anfing, so wie eben. Doch sie fragte nie, denn sie hätte nicht ertragen, wenn die Antwort nur in einem Schulterzucken bestanden hätte. Auf diese Weise hatte sie ihm einmal geantwortet, als er beklagt hatte, wie unwohl und fehl am Platze er sich im Hause seines Bruders und seiner Schwägerin fühlte.
»Geh doch weg von ihnen«, hatte sie in gereiztem Ton vorgeschlagen. »Keiner zwingt dich, diese Sippschaft auszuhalten. Du könntest einfach alles hinter dir lassen und von vorn anfangen.«
»Wohin soll ich denn gehen?«
Sie hatte mit den Schultern gezuckt. Seither war klar, dass keiner von ihnen bereit war, den ersten Schritt zu tun, um ein neues Leben zu beginnen.
Sie verbannte die unersprießlichen Gedanken und beschloss, ein anderes Thema anzuschneiden.
Sie war nicht ganz sicher, ob sie ihm von ihrem Vorhaben erzählen sollte, denn eigentlich war es dafür noch zu früh. Doch dann entschied sie, dass er es ruhig wissen sollte.
»Ich habe deiner Nichte einen Brief geschrieben«, sagte sie. »Ich habe sie unter einem Vorwand in unser Haus gelockt und so dafür gesorgt, dass sie allein mit Hieronimo zusammentrifft.«
»Du hast was ?«
»Nun ja, er ist angetan von ihr. Ich denke, da lässt sich etwas deichseln.«
Seine entgeisterte Miene belustigte sie. »Dachtest du, nur du allein kannst Intrigen spinnen? Noch dazu solche, die kläglich scheitern?«
Sie wusste genau, wie sehr es ihn wurmte, dass die von ihm ausgeheckte Eheanbahnung zwischen Timoteo und Chiara so gründlich schiefgegangen war. Er war sich seines perfekten Planes allzu sicher gewesen. Sie hatte mit ihm gewettet, dass es nicht klappen würde, und er hatte verloren. Den Einsatz dafür würde er noch erbringen müssen.
»Aus den beiden wird nichts werden«, sagte Gentile gelassen. »Dieser Plan ist noch viel dämlicher als meiner.«
Seine Selbstgefälligkeit stachelte ihren Ärger an. »Wir können ruhig noch einmal wetten.«
»Jederzeit«, sagte er grinsend. »Wieder um dasselbe?«
»Halt den Mund.«
»Oh, aber den brauche ich doch, um den noch ausstehenden Einsatz für die letzte Wette einzulösen.«
Mit geschickten Handgriffen zog er sie aus, dann glitt er an ihrem Körper herab.
Brodata versteifte sich, als sie seinen heißen Atem an ihrem Unterleib spürte. Sie fand es beängstigend, sich ihm auf diese Weise hinzugeben. So nackt und schutzlos vor ihm zu liegen vermittelte ihr ein Gefühl der Blöße, das über das Körperliche hinausging, weil die Kontrolle, die sie ihm damit einräumte, so umfassend war. Außerdem war sie nicht mehr zwanzig, und trotz des gnädigen Kerzenlichts würde er jeden Makel ihres Körpers sehen.
»Gentile, ich …«
»Sei still. Wette ist Wette.«
Dann ergriff er Besitz von ihr, und ihr Protest verstummte.
Eine Woche später, erste Oktoberwoche
Von sich selbst angewidert, warf Timoteo die Schreibfeder zur Seite und knüllte das tintenbekleckste Papier zu einem
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