Das Mädchen aus Mantua
nicht an ihren Krankheiten die Zähne ausgebissen hat. Und dann kamt Ihr. Es hat sich herumgesprochen, dass Ihr einen berühmten und tüchtigen Medicus zum Gatten hattet, von dem Ihr offenbar eine Menge gelernt habt.«
Voller Unbehagen fragte Celestina sich, was sich wohl sonst noch über sie herumgesprochen hatte.
Sie räusperte sich. »Dann ist es sicher auch kein Geheimnis mehr, dass sich das Befinden meiner Tante verschlechtert hat. Das spricht wohl nicht unbedingt für meine medizinische Kompetenz.«
»Brodata wird schon wissen, warum sie Euch herbat.« Achtlos griff er nach einem Schürhaken und stocherte im Feuer herum, bis die Funken aufstoben. »Möglicherweise geht es aber auch um ganz andere Dinge, wer weiß.«
Nach dieser kryptischen Bemerkung wuchs Celestinas Wunsch, schnellstmöglich zu verschwinden. Es war ein Fehler gewesen herzukommen. Wenn Brodata wirklich spezielle Hilfe brauchte, wofür oder für wen auch immer, hätte sie das in dem Brief schreiben können. Oder hierbleiben und auf sie warten müssen.
Die Magd brachte den Wein. Hieronimo stand auf und nahm ihr die dampfenden Becher ab. Einen reichte er Celestina und prostete ihr zu. »Auf die Gesundheit!«
Der fröhliche Gesichtsausdruck ließ ihn Jahre jünger aussehen. Beim Trinken legte er den Kopf zurück, sodass die Kuhle über seinem Schlüsselbein zu sehen war. Es sah genauso aus wie bei Timoteo.
Grimmig ignorierte Celestina das kleine Flattern in ihrem Magen. Dass er allein aufgrund seiner Ähnlichkeit mit seinem Bruder solche Irritationen in ihr auslösen konnte, bewies nur, was für eine verheerende Wirkung Timoteo auf ihre Sinne hatte. Sie musste dem ein Ende bereiten. Die nächtlichen Treffen mussten aufhören. Nicht nur wegen des schlechten Wetters, sondern weil sie sonst sehenden Auges in ihr Unglück rannte.
Um sich von den störenden Gedanken abzulenken, trank sie von dem heißen Wein. Er war würzig und stark. Zu stark. Dummerweise bemerkte sie es erst, nachdem sie den Becher schon fast geleert hatte. Rasch stellte sie ihn zur Seite.
»Ihr habt schon ausgetrunken?« Hieronimo ging zum Klingelzug, um nach der Magd zu läuten.
»Für mich bitte keinen Wein mehr«, sagte Celestina. Der Abend, an dem sie sich auf so schändliche Weise betrunken hatte, war ihr nur zu gut in Erinnerung. Vor allem aber der Morgen danach. »Ich muss aufbrechen. Meine Zeit ist begrenzt. Meine Tante … sie ist sehr krank und braucht mich. Und meine Stiefschwester … Ihr armer Arm. Ist gebrochen. Der Arm, meine ich.« Sie erhob sich – und fiel wieder zurück. »Oh«, sagte sie schwach.
»Ist Euch nicht gut?«
Sie merkte, wie ihre Wangen brannten. »Ja. Doch. Sehr gut. Ich … gehe dann … jetzt.« Sie unternahm einen zweiten Versuch. Diesmal klappte das Aufstehen besser, sie konnte das Gleichgewicht bewahren. »Der Wein war sehr stark«, meinte sie. Es klang albern, und sie konnte nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken.
»Sehr stark«, pflichtete Hieronimo ihr bei. »Unsere Köchin gibt immer reichlich Schnaps hinein, das wärmt die Lebensgeister und lockert die Laune auf.«
Dem konnte sie nicht widersprechen. Eben hatte sie sich noch gegrämt, doch ihre Laune hob sich zusehends. Wohlwollend lächelte sie Hieronimo zu. »Danke für Eure Gastfreundschaft.«
Er reichte ihr die Hand, um sie zur Tür zu führen. Sie fühlte sich wie eine Königin, als sie neben ihm herschritt. Ein kleines Kichern entwich ihr, weil sie beinahe auf einem Wasserfleck ausrutschte, den ihre nassen Schuhe vorhin auf den Holzbohlen hinterlassen hatten. Als Hieronimo ihr den Umhang um die Schultern legte, berührten seine Finger wie unabsichtlich ihren Hals, und sie erschauderte. Er ist der falsche Bruder!, schalt sie sich in Gedanken. Er sieht ihm bloß ähnlich, und das auch nur, wenn man nicht zu genau hinsieht!
Ein wenig ernüchtert schlug sie die abermals dargebotene Hand aus und lächelte leicht verkrampft, um die Zurückweisung abzumildern. Doch er schien deswegen nicht böse zu sein.
»Ihr seid eine ganz besondere Frau«, sagte er leise, während er sie zum Ausgang begleitete. »Gestattet mir, Euch wiederzusehen, Celestina.«
Vor Schreck über seine Worte wäre sie fast gestolpert. »Ich … ähm, also …« Sie hielt inne, weil sie nicht die geringste Ahnung hatte, was sie sagen sollte. Hatte sie sich vorhin liederlich benommen und ihm Grund zu der Annahme gegeben, sie sei auf ein unverbindliches Abenteuer aus? Oder, was noch schlimmer wäre –
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