Das Mädchen aus Mantua
Ball zusammen, den er quer durch die Kammer warf. Der misslungene Brief prallte von der Wand ab und fiel zu Boden, wo bereits ein halbes Dutzend anderer Fehlversuche gelandet war.
Seine eigene Schwäche verfluchend, widerstand er dem Drang, ein weiteres Blatt zu nehmen und von vorn zu beginnen. Es würde ohnehin nichts herauskommen, genauso wenig die die übrigen Male. Er würde es einfach sein lassen, schon allein deshalb, weil es zu nichts führte. Alles, was er bislang an Worten zustande gebracht hatte, las sich so erbärmlich, dass er selbst sich mit Grausen von seinen Zeilen abwenden musste. Besonders bitter daran war, dass sein Geschreibsel vermutlich genau seine Gefühle widerspiegelte. Weinerlich, beleidigt, wütend und – nun ja, auch das noch! – sehnsuchtsvoll. Sie würde nur den Kopf darüber schütteln, davon war er überzeugt. Sie würde ihn für unreif, sentimental und naiv halten. Dass sie genau dies tat, argwöhnte er ohnehin oft. Beklagenswerterweise hatte er von sich selbst auch diesen Eindruck. Häufig kam es ihm so vor, als könne er ihr nicht das Wasser reichen. Sie war klug und belesen und wusste viel mehr über die Medizin als er; sie konnte sich besser beherrschen, klarer ihre Gedanken formulieren und Menschen schneller durchschauen.
Nur in einer Hinsicht, so schien es ihm, hatte er ausgesprochen schnell aufgeholt, ja, sie sogar womöglich überrundet. Bei ihren leidenschaftlichen Zusammenkünften fühlte er sich ihr nicht unterlegen, im Gegenteil. Wenn sie in seinen Armen lag, spürte er ihre Verletzlichkeit und ihre Bedürfnisse. Und ihre Hingabe. Dann gab es kein Versteckspiel und keine Abwehr, weil sie beide dasselbe wollten: eins werden und zusammengehören, und wenn es nur für ein paar magische Momente war.
Das wollte er wiederhaben. Genau genommen wollte er nicht nur das, sondern mehr, viel mehr. Doch der Weg dorthin schien ihm weitaus steiniger als je zuvor. Sie wollte ihn nicht sehen, jedenfalls »vorerst nicht«, und er hatte keine Ahnung, wie er ihre Meinung ändern sollte. Bei Nacht wie ein liebeskranker Trottel unter ihrem Fenster herumzulungern, kam nicht infrage. Für einen erwachsenen, seriösen Mann geziemte sich dergleichen nicht, immerhin das hatte er inzwischen gelernt, auch ohne dass es ihm irgendwer hätte erklären müssen. Noch im Nachhinein wurden ihm die Wangen heiß, wenn er an seine blamablen Bemühungen um Chiara dachte. Was war er doch für ein kindischer Idiot gewesen!
Sein Blick fiel auf die verstreut auf dem Boden liegenden Papierbälle, und bei dem Anblick überkam ihn die Ahnung, dass diese Versuche dem nächtlichen Herumlungern unter Fenstern nicht viel nachstanden.
Er beschloss, es gut sein zu lassen und sich bei einem Ausritt einen klaren Kopf zu verschaffen. Das Wetter war deutlich besser als noch vor einer Woche, eine strahlende Herbstsonne wärmte den Tag und lud zu einem Ausflug in die freie Natur ein.
Als er nach unten kam, hörte er durch die angelehnte Tür zum Kaminzimmer seinen Vater und seinen Bruder reden. Auch seine Tante war bei dem Gespräch zugegen, sie sagte etwas zu Hieronimo, das Timoteo mitten im Schritt innehalten ließ. Wie angewurzelt blieb er stehen und lauschte.
»Ich dachte, du magst Celestina Ruzzini«, sagte Brodata. Es klang erstaunt.
»Nun, ich sagte nicht, dass ich sie nicht mag«, erklärte Hieronimo. »Sie ist mir nicht zuwider, das möchte ich ausdrücklich betonen. Jedenfalls bei Weitem nicht so wie die übrigen Bertolucci. Schließlich gehört sie nicht im engeren Sinne zur Familie und ist mit diesem Schwein Lodovico nur zufällig durch Heirat verwandt.«
»Ich hatte den Eindruck, dass sie dir regelrecht am Herzen liegt«, meinte Brodata.
»Genau diesen Eindruck wollte ich ja auch hervorrufen«, sagte Hieronimo zufrieden.
»Das ist dir sehr gut gelungen«, versetzte Brodata sarkastisch. »Allerdings hatte ich, als ich sie mit meinem Brief zu uns bat, nicht erwartet, dass du nur einen Eindruck hervorrufen wolltest. Ich ging davon aus, dass dir wirklich an ihr liegt.«
Timoteo spähte durch den Türspalt und sah ihr Gesicht. Ihre Miene spiegelte Ablehnung wider. Das, was Hieronimo sagte, schien ihr nicht zu gefallen.
»Wozu sollte das Ganze denn gut sein?«, erkundigte sich Alberto. Wut schwang in seiner Stimme. »Was dachtest du dir überhaupt dabei, dieses Bertolucci-Weib herzubitten?«
»Es ist dir vielleicht entgangen, und möglicherweise hat es auch gar keine Bedeutung für dich, aber dein ältester
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