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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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du willst überhaupt nicht mehr zur Universität gehen?«
    Trotzig hob sie das Kinn. »Nein, das heißt es nicht. Wozu hätte ich denn sonst die ganze Mühe auf mich nehmen sollen? Ich gehe hin, solange ich kann. Wenn die Ferien vorbei sind, mache ich weiter. Ich besuche die Vorlesungen und nehme an allen Veranstaltungen teil. Ich will alles lernen, was sich mir bietet. Bis mich jemand daran hindert. Egal, ob es Mutter ist oder sonst wer.«
    »Gut«, sagte er zufrieden. Er sah aus, als sei ihm soeben die schlimmste Sorge genommen worden. »Ich dachte schon, du hättest deinen Schneid verloren.« Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Ich habe einen Vorschlag: Falls du Padua verlassen musst, sehen wir weiter. Wir werden uns neue Prämissen ausdenken und Pläne machen. Aber solange du hier bist, setzen wir unsere Treffen fort.«
    »In der Hütte, die du gebaut hast«, fügte sie mit leiser Belustigung hinzu.
    »Sie hat einen Kamin und ein festes Dach«, verteidigte er seiner Hände Werk.
    Sie musste kichern. »Das kommt mir bekannt vor.«
    »Woher?«
    »Ach, egal. Das Leben ist zu kurz, um es sich mit Angst vor der Zukunft zu ruinieren. Ich bin einverstanden und werde mich weiterhin mit dir treffen, solange es geht. Ob mit oder ohne Erpressung.«
    »Es ist diesmal keine Erpressung«, protestierte er. »Sondern deine freie Entscheidung!«
    »Dann könnte ich auch Nein sagen?«, neckte sie ihn.
    »Auf keinen Fall«, erklärte er entschieden.
    »Aha. Wenn das die Prämisse ist – komm her.« Sie schlang die Arme um seinen Nacken und zog sein Gesicht zu sich herunter, um ihre Übereinkunft mit einem Kuss zu besiegeln.



Teil IV

Padua, Mitte Oktober 1601
    Der Wanderarzt Filiberto richtete sich lauschend auf. Die Geräusche des Krankensaals verstummten nie, auch nicht bei Nacht. Erst vor etwa einer Stunde, kurz vor Mitternacht, hatte einer der Kranken das Zeitliche gesegnet, und anders als die meisten, die Filiberto während seines Aufenthalts im Spital bisher hatte sterben sehen, hatte er sich nicht still und leise vom Leben verabschiedet, sondern mit einem durchdringenden Schrei, der alle Kranken aus ihren Betten hatte hochfahren lassen – so sie denn dazu imstande waren und nicht schon selbst dem Tode näher als dem Leben. Die Schwestern waren wie stumme schwarze Vögel von allen Seiten herbeigeflattert, doch sie hatten nicht mehr tun können, als den Tod des bedauernswerten Patienten festzustellen. Nach ihnen kamen zwei kräftige Mönche, um ihres Amtes zu walten. Sie hoben den schlaffen Körper von seinem Lager und betteten ihn auf ein ausgerolltes Tuch, sodann knoteten sie es am Kopf- und Fußende zusammen und schleppten das leblose Bündel davon. Die Nonnen zogen die beschmutzten Laken vom Bett, schüttelten die Matratze aus, wendeten sie und zogen frisches Leinen darüber, in der zweifellos zutreffenden Annahme, dass bald ein neuer Kranker käme, der diesen Platz brauchen würde.
    Das alles geschah im Lichte unruhig flackernder Laternen, die schaurige Schatten an die Wände warfen und die Gestalten der still arbeitenden Nonnen und Mönche ins Riesenhafte vergrößerten. Die Kranken in den umliegenden Betten schauten eine Weile zu, doch die meisten legten sich rasch wieder hin, der Tod war zu alltäglich, um ihm noch besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Von denen, die herkamen, starben ohnehin zu viele, oft mehrere an einem Tag.
    Der arme Teufel, den es in dieser Nacht erwischt hatte, durfte sich glücklich schätzen, dass er es endlich überstanden hatte. Filiberto hatte viel früher mit seinem Tod gerechnet. Menschen, die am Ignis sacer litten, hielten für gewöhnlich nicht so lange durch, vor allem dann nicht, wenn bereits Hände und Füße zu faulen begonnen hatten. Doch das Herz des Mannes war kräftig gewesen, es hatte wochenlang weitergeschlagen, bis es diese Nacht endlich seinen Dienst versagt hatte. Er hatte lange gelitten, und dieses Leid war umso unwürdiger, als niemand je kam, um ihm Trost zu spenden. Falls er noch Familie hatte, war er dieser offenbar herzlich gleichgültig. Sein Tod würde wohl keinen Menschen bekümmern.
    Filiberto hatte beobachtet, wie der Leichnam auf das Tuch gelegt wurde, und bevor die Mönche die Gestalt darin einrollten, erhaschte er noch einen Blick auf das entstellte Gesicht. Es war schwarz verfärbt und auf so groteske Weise angeschwollen, dass es eher an eine Teufelsmaske gemahnte als ein menschliches Antlitz.
    Der Wanderarzt erinnerte sich an den Tag, als er selbst

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