Das Mädchen aus Mantua
als das ihre betrachten.
Seither konnten Celestina und Arcangela nichts anderes tun als warten – und die ihnen noch verbleibende Zeit nach Kräften nutzen.
Angestrengt sann Celestina immer wieder darüber nach, wie sie es anstellten könnte hierzubleiben und das Studium unbehelligt fortzusetzen, doch sosehr sie sich auch den Kopf zermarterte – ihr fiel nichts ein, das auch nur einen zweiten Gedanken wert gewesen wäre.
»Sei vorsichtig«, sagte Arcangela, bevor sie das Gesicht wieder im Kissen vergrub und weiterschlief. Celestina löschte die Kerze und verließ leise die Kammer.
Auf der Treppe traf sie Margarita, die einen Stapel frischer Bettwäsche nach oben brachte.
»Ihr seid aber früh auf, Madonna«, sagte die Magd mitleidig. »Geht Ihr wieder ins Spital, den armen Kranken helfen?« In ihren Augen war Celestina nicht mehr und nicht weniger als eine Heilige, die sich nicht nur in stundenlanger, aufopferungsvoller Einsatzbereitschaft um die kranke Tante bemühte, sondern auch in duldsamer Nächstenliebe den Siechen und Sterbenden im Spital beistand, und das alles nur um der Liebe Christi willen.
Celestina nickte mit schlechtem Gewissen und rang sich ein freundliches Lächeln ab, bevor sie weiter die Treppe hinabeilte.
Draußen war es kalt und unwirtlich, doch wenigstens war es an diesem Morgen trocken. Der Oktober hatte mit eisigen Winden Einzug gehalten, der letzte schöne Tag lag Wochen zurück. Celestina verkroch sich in ihren warmen Umhang und zog die Kapuze tief ins Gesicht. Sie würde bis auf die Knochen durchgefroren sein, wenn sie den Weg zum Spital und später zur Universität hinter sich gebracht hatte.
Noch unangenehmer war allerdings der Weg hinaus aufs Land, der beinahe eine Stunde Fußmarsch erforderte; beim nächsten Mal, so hatte Timoteo erklärt, wolle er jenseits der Stadtmauer auf sie warten und sie auf dem Pferd mitnehmen.
Zu Timoteos Verdruss hatten sie sich bislang erst ein einziges Mal in der neu erbauten Hütte treffen können. Bei ihren übrigen Verabredungen war immer etwas dazwischengekommen. Einmal hatte Marta über Stunden unter unstillbarem Erbrechen gelitten, bis Celestina ernsthaft um das Leben der Tante gefürchtet hatte. Ein anderes Mal hatte Chiara nach Celestina rufen lassen, als diese sich gerade auf den Weg machen wollte. Chiara hatte rötliche Striemen auf ihrem wachsenden Bauch entdeckt und fürchtete, er sei im Begriff aufzuplatzen. Daraufhin zeigte Celestina ihr die eigenen Schwangerschaftsstreifen, kaum sichtbare, silbrig-dünne Linien unterhalb des Nabels.
»So sieht es eine Weile nach der Geburt aus«, sagte sie. »Kein Grund zur Sorge. Es ist ganz normal.«
Chiara fühlte sich indessen nicht beruhigt; sie hielt diese natürliche Folge der Schwangerschaft für eine infame Ungerechtigkeit des Schicksals. Sie weinte herzzerreißend über den vermeintlichen Verlust ihrer Schönheit und fürchtete, ihr könne noch weit Schlimmeres an Entstellungen drohen. Celestina musste ihr eine Stunde lang gut zureden, während Timoteo in der Hütte umsonst ein Kaminfeuer entfachte.
Celestina nutzte diese Gelegenheit, ihre Cousine auf den Maler Giovanni anzusprechen, Guidos hübschen jungen Freund, der offenbar der Vater von Chiaras Kind war, doch Chiara reagierte auf entsprechendes Befragen verstockt und sagte kein einziges Wort mehr. Immerhin waren ihre Tränen versiegt, ihr Trostbedürfnis hatte sich damit erledigt.
Celestina blieb nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge wieder in ihre Kammer zurückzukehren.
Das war vor drei Tagen gewesen.
Nun endlich waren die großen Ferien vorbei; an diesem Morgen fingen die Vorlesungen wieder an. Celestina hatte diesem Tag entgegengefiebert, zum einen, weil sie endlich wieder zur Universität konnte, zum anderen, weil Timoteo dort sein würde. Sie hatte Gefühle für ihn entwickelt, die nicht wünschenswert und nicht ratsam waren, gegen die sie jedoch machtlos war. Sie musste sich eingestehen, dass sie ihn von Mal zu Mal stärker vermisste. Seine Augen hatten geleuchtet, als er ihr die Hütte präsentiert hatte, ein klobiges Häuschen mit schiefen Mauern, überhängendem Dach, unregelmäßig verlegten Dielenbrettern und ungefügem Kamin. Sie hatte jedoch nur Augen für ihn gehabt, während er ihr stolz sein Werk vorführte. Am liebsten wäre sie für immer mit ihm dort geblieben.
Sie weigerte sich, darüber nachzudenken, was aus ihnen beiden werden würde, wenn sie Padua verlassen musste. Im Augenblick wollte sie
Weitere Kostenlose Bücher