Das Mädchen aus Mantua
einfach nur bei ihm sein.
Und endlich wieder Vorlesungen hören.
Der Turm des Spitals überragte die umliegenden Dächer wie ein dunkles Mahnmal, dessen bedrückenden Schatten sie spürte, als sie zum Hintereingang des Gebäudes ging. Ihr Schlüssel knirschte im Schloss, und sie dachte daran, dass sie ihn bald seinem Eigentümer zurückgeben musste. Sie hatte Frater Silvano eine Nachricht geschickt, dass sie heute herkäme; er wusste, dass die Ferien zu Ende waren und der Universitätsbetrieb wieder aufgenommen wurde. Dennoch war sie überrascht, ihn in der Archivkammer vorzufinden. Er erhob sich hinter dem Tisch, auf dem er in Papieren geblättert hatte und kam erfreut lächelnd auf sie zu. »Monna Celestina! Wie schön, Euch wiederzusehen! Wie ist es Euch ergangen in den letzten Wochen?«
»Es war an manchen Tagen außerordentlich langweilig«, sagte sie wahrheitsgemäß.
Er grinste. »Das habe ich vermutet. Euch hat die Gefahr gefehlt, nicht wahr? Ihr seid eine wagemutige Frau. Wenn Ihr spielt, dann mit hohem Einsatz.«
Die Kerze auf dem Schreibpult flackerte, als er daran vorbeiging. Seine imposante Gestalt in dem dunklen Franziskanerhabit füllte den kleinen Raum nahezu aus. Höflich machte er ihr Platz, damit sie sich umkleiden konnte. Bevor er den Raum verließ, wandte er sich um und zwinkerte sie an. »Diesmal gebe ich acht, dass Euer Onkel nicht auftaucht.«
Sie lachte. »Das dürfte ihm schwerfallen. Bevor ich das Haus verließ, habe ich mich vergewissert, dass er noch schläft. Sehr fest, seinem Schnarchen nach zu urteilen.« Sie wurde ernst. »Darüber muss ich noch mit Euch sprechen, Frater. Mein Onkel – er züchtet in einer besonderen Einfriedung in seinem Garten Kräuter. Ich habe sie zwar noch nicht zu Gesicht bekommen, bin aber sicher, dass es sich um Giftpflanzen handelt. Er achtet immer sorgsam darauf, das Tor, das hineinführt, verschlossen zu halten. Den Schlüssel hat er stets bei sich, und wenn er hineingeht, ist er immer allein. Ich habe den Verdacht, dass er von diesen Kräutern welche hierher bringt und sie Schwester Deodata aushändigt.« Sie verschwieg, dass sie sogar Schlimmeres befürchtete, nämlich, dass ihr Onkel ihrer Tante Gift verabfolgte, auf so raffinierte Weise, dass sie es ihm trotz aller Aufmerksamkeit bislang nicht hatte nachweisen können, obwohl sie seit Wochen jeden Bissen und jeden Schluck untersuchte, der für Marta zubereitet wurde.
Frater Silvano war in der offenen Tür stehen geblieben. »Nun, das stimmt. Euer Onkel bringt tatsächlich Giftkräuter.«
»Ihr wisst davon?« Celestina war erstaunt und verunsichert.
Der Mönch nickte. »Wir brauchen sie. Sie sind nützlich. In geringer Dosierung entfalten sie enorme Heilkraft.« Ein wenig amüsiert blickte er sie an. »Das solltet Ihr wissen, als Studiosus der Medizin.«
»Natürlich«, sagte sie betreten. Gerade auf diesem Gebiet kannte sie sich viel zu wenig aus. In allen anderen Bereichen konnte sie mithalten und war den meisten der angehenden Doktoranden sogar überlegen, aber in der Pflanzenkunde wies sie unleugbare Wissenslücken auf.
Als hätte Frater Silvano ihre Gedanken gelesen, kam er zurück und zog aus einem der Regale einen schmalen, ledergebundenen Folianten, den er Celestina reichte. »Vielleicht mögt Ihr dort einmal hineinschauen. Ein sehr lehrreiches Buch, es hat mir schon viel genützt.«
Sie blätterte den Band auf. Er enthielt eine reich bebilderte Sammlung von Beschreibungen der unterschiedlichsten Gewächse. Sorgfältig illustriert und alphabetisch geordnet waren dort Heilpflanzen aller Art aufgeführt, von Arnika bis Zinnkraut, mitsamt Beschreibungen von Zubereitungsart und Wirkungsweise.
»Betrachtet es als Leihgabe, solange Ihr es benötigt«, sagte Frater Silvano.
»Das ist sehr großzügig, vielen Dank.« Sie zögerte, dann kam sie zum eigentlichen Kern ihres Anliegens zurück. »Könnten die Menschen, die im Laufe der vergangenen Monate in der Anatomie gelandet sind, nicht möglicherweise durch die Giftpflanzen meines Onkels zu Tode gekommen sein?«
»Das ist sehr wohl möglich, schließlich waren sie allesamt Patienten hier im Spital, weshalb ich selbstverständlich bereits Nachforschungen in dieser Richtung angestellt habe. Allerdings bisher ohne Ergebnis. Die Pflanzen werden unter Verschluss gehalten, in einem besonderen Schrank, und nur zwei Leute besitzen dafür einen Schlüssel.«
»Und wer ist das?«
»Schwester Deodata und ich selbst.«
Immer wieder diese Nonne!
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