Das Mädchen aus Mantua
Hochglanz polierte Stiefel bestimmten das Bild; einige hatten ihren Degen umgegürtet, als sei es unerlässlich, neben dem Modebewusstsein auch den Kampfesmut zu demonstrieren.
Celestina betrachtete die frischen jungen Gesichter und fühlte sich plötzlich mit ihren einundzwanzig Jahren uralt. Die meisten dieser Burschen waren kaum sechzehn oder siebzehn Jahre alt, so wie der von ihr verkörperte Marino. Sie hatten gerade die Lateinschule hinter sich gebracht, hatten bei ihren Hauslehrern Griechisch, Mathematik und Philosophie gepaukt und waren mit den Grundlagen der Rhetorik vertraut, und nun waren sie hier eingetroffen, um ihren Wissenshorizont zu erweitern. Die meisten von ihnen würden Theologie und Jurisprudenz studieren, aber nicht wenige auch Medizin, Mathematik und Astrologie.
Nicht alle der Scholaren würden ihre Studien hier zu Ende führen. Manche von ihnen kamen nur, um die Vorlesungen bestimmter Professoren zu hören, deren Ruhm über die Landesgrenzen hinausgedrungen war, etwa von dem Mathematiker Galileo Galilei, der die Studenten scharenweise aus ganz Europa anzog. Einige waren wohlhabende europäische Adelssprösslinge auf ihrer obligatorischen Junkerfahrt; sie machten während ihrer ausgedehnten Reisen in Padua und Bologna Station, weil es das Ansehen steigerte. Andere, die vielleicht schon einige Jahre älter waren, schrieben sich ein, um auf bereits bestehenden Abschlüssen oder Kenntnissen aufzubauen und lediglich ein Doktorandenstudium zu absolvieren, so wie William und sie selbst.
All diese Jungen hier würden im Bereich ihrer Natio ihre angestammten Traditionen pflegen, ihre heimatlichen Lieder singen und zusammen im Wirtshaus essen. Sie würden gemeinsam ausreiten, Boot fahren, Feste und Theatervorstellungen besuchen und sich zu anderen Zerstreuungen treffen. Die Ärmeren unter ihnen würden in Hospizzimmern wohnen, unterstützt von mildtätigen Stiftern ihrer Landesmannschaften und aus Mitteln ihrer Natio, und die Abkömmlinge reicher Familien würden sich ausstaffieren wie Baldo und großspurig auftreten, wie es ihrer Ansicht nach künftigen Machthabern geziemte.
Celestina ließ den Blick über die Köpfe der Studenten schweifen und sah bekannte Gesichter von Scholaren aus der Doktorandengruppe, mit denen zusammen sie schon in Vorlesungen gesessen hatte. Baldo war unter ihnen, angetan mit einem neuen schwarzen Umhang, der elegant von einer Schulter hing und mit einer goldgehämmerten Schnalle befestigt war. Die Feder an seinem Hut wippte bis zur Schulter. Er war umringt von einer kleinen Schar seiner unerlässlichen Bewunderer und hatte das Gesicht hochmütig erhoben, als gebe es unter all diesen jungen Männern keinen wichtigeren als ihn.
Der Zufall wollte es, dass sein Blick auf sie fiel, und während seine Miene sich in höhnischer Wut verzog, trat sie hastig hinter zwei hochgewachsenen Scholaren zurück und tat so, als wolle sie das neu aushängende Vorlesungsverzeichnis betrachten, obwohl sie es schon kannte. Timoteo hatte ihr bei ihrem letzten Treffen eine Abschrift mitgebracht.
Kaum hatte sie an ihn gedacht, als sie ihn drüben bei der Treppe stehen sah, zusammen mit Galeazzo und William. Das Herz wurde ihr weit bei seinem Anblick. Seine Gestalt überragte die meisten anderen, und er brauchte keine elegante Aufmachung, um aufzufallen. Dessen ungeachtet, war er modisch gekleidet, doch auf eher unprätentiöse Art, ohne Spitzenkragen und Federschmuck am Hut. Sein Wams war an den Aufschlägen mit Leder abgenäht, und das Barett hatte er keck zur Seite geschoben, sodass ein Ohr frei blieb. Seine feinwollenen Beinkleider saßen hauteng und zeichneten seine Wadenmuskeln nach. Die Pluderhosen waren weit, aber nicht so übertrieben aufgebauscht wie bei manchen seiner Kommilitonen. Die vorn spitz zulaufenden Schuhe waren ersichtlich neu, ein wenig zu elegant für seine männliche Statur, wie Celestina fand, doch immerhin sahen sie bequem aus. Sie wusste, dass er wegen seines versehrten Beins manchmal Probleme mit dem Gehen hatte, umso wichtiger war es, dass er ordentliches und exakt angepasstes Schuhwerk trug. Fraglos wäre ihm mit einem Stock noch besser gedient, doch damit durfte sie ihm nicht kommen. Vielleicht irgendwann, wenn er älter war. Falls sie dann noch Gelegenheit hatte, mit ihm darüber zu sprechen … Sie vertrieb die düsteren Gedanken und holte tief Luft, denn in diesem Moment blickte er in ihre Richtung und schaute sie an. Es war ein magischer Augenblick, die Zeit
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